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Zivilgesellschaft einbeziehen: Schweizer OSZE-Vorsitz darf kein Routinegeschäft werden

In höchst ungünstiger Situation übernimmt die Schweiz 2026 den Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Damit dieses Engagement ein mutiger und engagierter Auftritt wird, müssen Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft einbezogen werden. Dazu hat SGA-ASPE-Vorstandsmitglied Markus Heiniger an einer Arbeitstagung des Center for Security Studies, CSS, der ETH, am 18. November in Zürich einige Ideen skizziert.  Auf Anregung der Schweizerischen Helsinkivereinigung wird eine konstruktiv-kritische Begleitung des OSZE-Vorsitzes durch eine schweizerische «Arbeitsgruppe OSZE» geplant.

 

 

Es ist zu begrüssen, dass die Schweiz sich um den OSZE- Vorsitz bemüht hat. Man muss eigentlich froh sein, dass es die OSZE überhaupt noch gibt, angesichts der Weltlage. Aber der  OSZE-Vorsitz darf kein Routinegeschäft werden. Ein mutiger und engagierter Auftritt der Schweiz ist nötig. Dazu braucht es Öffentlichkeit und Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft. Das war auch das Fazit der öffentlichen Veranstaltung, welche die SGA-ASPE im Oktober 2025 zusammen mit der Schweizerischen Helsinkivereinigung durchgeführt hat  Auf die Zivilgesellschaft zu hören und mit ihr zusammenzuarbeiten ermöglicht oft verstärktes early warning, Prävention und Resilienz bezüglich Krisen. Stichworte sind protection, monitoring, advocacy, und auch Direktleistungen, wenn staatliche Strukturen geschwächt sind, so etwa bezüglich humanitärer Hilfe, psychosozialer Unterstützung und community building.

2026 ist (noch) nicht 2014

Doch die  Schweizer Prioritäten für die Präsidentschaft 2026 nennen die Zivilgesellschaft überhaupt nicht explizit. Vielleicht können wir wohlwollend davon ausgehen, dass deren sinnvoller Einbezug überall mitgemeint ist? Denn vor 11 Jahren, beim zweiten Schweizer Vorsitz von 2014, wurde die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft als explizites Ziel genannt. Es gab regelmässige Treffen mit der NGO-Koordination zur OSZE, auch mit dem Chef des EDA, Bundesrat Burkhalter. Die NGO-Koordination wurde vom EDA teilfinanziert, sogar noch über 2014 hinaus. Im Schlussbericht zum Vorsitz von 2014 hatte das EDA erklärt, wieso der Einbezug wichtig ist:  «In der OSZE besteht im Unterschied zu anderen multilateralen Organisationen die Möglichkeit, die Zivilgesellschaft einzubinden, sodass sich diese bei offiziellen Veranstaltungen auf Augenhöhe mit staatlichen Vertretern austauschen kann. Die Schweiz und Serbien haben sich zum Ziel gesetzt, auf diesem Mehrwert der OSZE aufzubauen und die Zivilgesellschaft noch stärker und in der ganzen thematischen Breite einzubeziehen. Didier Burkhalter hat bei seinen Reisen als OSZE-Vorsitzender gezielt den direkten Dialog mit der Zivilgesellschaft gesucht.»

Modell Autoevaluation

Damals gab es als Selbstverpflichtung auch eine Autoevalution zur Situation der Menschenrechte in der Schweiz. Dazu schrieb das EDA im erwähnten Schlussbericht: «Die Absicht der Schweiz war es, das Modell einer Selbstevaluation zu erarbeiten, welches von den nachfolgenden OSZE-Vorsitzländern jeweils übernommen wird. Damit gäbe das Vorsitzland jeweils ein deutliches Signal, dass es die Umsetzung der OSZE-Selbstverpflichtungen im Bereich der «menschlichen Dimension» ernst nimmt.» Bei dieser Übung zur Selbstevaluation gab es Beiträge der drei Akteure SKMR (Schweizerisches Kompetenzzentrum für Menschenrechte), NGOs und Bundesverwaltung zu den fünf Themen Wahlbeobachtung, Intoleranz, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Menschenhandel und Gleichstellung der Geschlechter.

Diese Evaluation war ein recht guter Fall von kritisch-konstruktiver Zusammenarbeit. Weiter organisierte die damalige NGO-Koalition parallel zur OSZE-Ministerkonferenz 2014 in Basel gleichzeitig eine Konferenz mit den Civil Society Organisations aus 57 Staaten, wobei es auch viele Querbezüge und Austausche zwischen beiden Events gab. Ebenfalls ein Beispiel für die Relevanz einer guten Zusammenarbeit des Vorsitzes mit den NGOs ist, dass damals die nachfolgenden chairs Serbien, Deutschland, Italien und Schweden bei ihren jeweiligen Menschenrechts-Autoevaluationen durch Vertreter der schweizerischen OSZE-NGO-Koalition von 2014 beraten wurden.

Was tun?

 Um die Zusammenarbeit des Schweizer OSZE-Vorsitzes mit der Zivilgesellschaft optimal zu gestalten, bieten sich unter anderem zwei Massnahmen an. Die erste ist der Einbezug des internationalen OSZE-NGO-Netzwerks Civic Solidarity Platform (CSP), die zweite die Weiterführung des Mandats der Special Representative des Vorsitzes als Ansprechperson.

Die CSP einbeziehen

Ein massgeblicher Akteur für den Einbezug der Zivilgesellschaft ist das OSZE-NGO-Netzwerk Civic Solidarity Platform (CSP). Es vereint über 100 Organisationen. Das Sekretariat lag zuletzt beim ukrainischen Centre for Civil Liberties, das 2022 gemeinsam mit Memorial (Russland) und Ales Bialiatski (Viasna, Belarus) den Friedensnobelpreis erhielt – alle sind auch CSP-Mitglieder. Yuri Dzhibladze, Mitglied des CSP-Koordinationskomitees, ein russischer Menschenrechtsexperte im Exil, hat in Bern am 24. Oktober unter anderem  drei Punkte speziell hervorgehoben:

Special Representative nutzen

Massgeblich für das Verhältnis von  OSZE und Zivilgesellschaft ist zweitens die “Special Representative of the OSCE Chairperson-in-Office on Civil Society”. Eine solche Zuständige gibt es 2025 zum dritten Mal, es ist die finnische NGO-Frau Anu Juvonen. In ihrem Abschlussbericht, der im Dezember erscheint, wird sie unter anderem folgende Punkte hervorheben:

Drei konkrete Vorschläge ans EDA

  1. Verlängerung des Mandats der Special Respresentative on civil society durch das EDA . mit klarem Mandat und Ressourcen, inklusive Länderbesuche und knowledge-sharing mit der Troika (vorhergehender und nachfolgender Vorsitz). Zu erwägen ist eine Erhöhung oder Verdoppelung des Mandatsumfangs (derzeit zirka 10-15 Prozent).
  2. regelmässiger Dialog: a) auf der Ebene OSZE-Civic Solidarity Platform und b) als systematischer (nicht zufälliger) Austausch der Zivilgesellschaft  mit OSZE-Institutionen und -strukturen. Dazu gehören, wie oben erwähnt,  Massnahmen gegen Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger im Zusammenhang mit deren OSZE-bezogenen Aktivitäten.
  3. Wiederaufnahme der Selbstevaluation des Vorsitzstaats bezüglich der Menschrechtssituation im eigenen Land. Dies wurde erstmals 2014 durch die Schweiz 2014 gemacht, danach auch von den nachfolgenden chairs Serbien, Deutschland, Italien und Schweden, ab zirka 2019 jedoch nicht weitergeführt.

Die Vorbereitungen auf einen OSZE-«Ernstfall» 2026, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg sind wichtig. Aber ein anderer tagtäglicher «Ernstfall» ist ja bereits eingetreten, nämlich die im Gang befindlichen weltweite Erosion von Leadership und Umsetzung bezüglich Rechtstaatlichkeit, Menschenrechtsunterstützung, Friedensförderung und von human oder «comprehensive» security. Diesem tagtäglichen Trend sollte die Schweiz von Tag 1 an das Potential der Präsidentschaft 2026 entgegenhalten und alle diesbezüglichen Möglichkeiten des weiten OSZE-Feldes bzw. deren Mitgliedstaaten zu aktivieren versuchen.

 

 

 

 

Links

https://www.aussenpolitik.ch/eine-handlungsfaehige-osze-braucht-die-zivilgesellschaft/

https://www.mission-wien.eda.admin.ch/de/prioritaeten-der-schweiz

 

 

 

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