Das neue Vertragspaket Schweiz–EU, im öffentlichen Diskurs «Bilateralen III» genannt, markiert einen Meilenstein in der Beziehung der Schweiz zur EU und einen notwendigen europapolitischen Schritt für unser Land. Es sichert auch in Zukunft den ungehinderten Zugang zum europäischen Binnenmarkt für die Schweizer Wirtschaft, ermöglicht die Teilnahme der Schweiz an den wichtigen Kooperationsprogrammen in den Bereichen Forschung, Bildung und Kultur, schafft Rechtssicherheit und stärkt unsere Position in einer zunehmend gefährlichen Welt.
Wir müssen das sich integrierende Europa nicht fürchten. Im Gegenteil, die europäische Integration ist der Rahmen, in dem sich die Schweiz in der neuen Welt-Unordnung souverän behaupten kann. Denn angesichts der aggressiven Machtpolitik in Moskau, Peking und Washington können kleine Demokratien nur bestehen, wenn sie sich verbünden. Die EU ist auch darum nicht die Gegnerin der Schweiz, sondern die historisch beste Nachbarin und weltpolitisch beste Freundin der Schweiz. Die neuen Verträge bedeuten definitiv keine Unterwerfung, wie wir sie im Verhältnis zu Trumps Amerika erleben. Sondern eine partnerschaftliche Fortführung des bewährten bilateralen Wegs, der uns auf Basis des Rechts auf Augenhöhe mit den europäischen Staaten und ihrer Union stellt.
Ein zentraler Gewinn dieser Verträge ist die Schaffung verrechtlichter Verfahren zur Streitbeilegung. Konflikte werden künftig juristisch, nicht politisch ausgetragen. Dies stärkt natürlich die Schweiz als kleinere Partnerin gegenüber der viel grösseren EU.
Ebenfalls entscheidend: Die Verträge werden dynamisiert statt statisch zu bleiben. Änderungen im für die Schweiz relevanten EU-Recht können künftig ohne zu grossen Aufwand übernommen werden. Nicht als Zwang, sondern mit der klaren Möglichkeit für die Schweiz, Ja oder Nein zu sagen. Aber dort wo es unbestritten ist, muss kein Büro aufgemacht werden. Zudem gewinnt die Schweiz mit dem «Decision Shaping» Mitspracherechte.
In wirtschaftlicher Hinsicht ist der europäische Binnenmarkt unverzichtbar für unser Land. Kein Handelsabkommen mit Drittländern wird ihn je ersetzen können. Der ungehinderte Zugang zu unserem eigentlichen Heimmarkt sichert Wohlstand, Arbeitsplätze und dank starken, flankierenden Lohnschutz-Regeln die Kaufkraft der Bevölkerung. Der Bundesrat hat berechnen lassen, was uns ein Ende der bilateralen Verträge volkswirtschaftlich kosten würde. Das Ergebnis der entsprechenden Studie ist spektakulär: Bis 2045 würden wir 4.9 Prozent Wirtschaftsleistung verlieren. Das wären ab 2045 jährlich 2’500 Franken weniger Einkommen pro Kopf!
Zudem stünden viele Branchen ohne Arbeitskräfte aus der EU vor massivsten Problemen. Und der Beitrag dieser Menschen übersteigt schon heute, was sie in Anspruch nehmen. Zum Beispiel zahlen die europäischen Einwanderinnen und Einwanderer deutlich mehr Beiträge in unsere Sozialwerke, als sie Leistungen beziehen.
Gleichzeitig ermöglicht das Vertragspaket den vollen Zugang zu den wichtigen Forschungs-, Bildungs- und Kulturprogrammen wie Horizon Europe oder Erasmus+ und es stärkt die Versorgungssicherheit in den Bereichen Strom und Gesundheit. Auch das sind wichtige Zukunftschancen, die wir als Land nur mit den neuen Verträgen packen können.
Bei den «Bilateralen III» geht es also nicht um eine Neuausrichtung, sondern um die konsequente Fortführung des bilateralen Wegs – allerdings auf einer stabileren und zukunftsfähigen Basis. Europa und die Welt befindet sich in einem Epochenbruch: Kriege, geopolitische Spannungen, nationalistische Aufwallungen und Angriffe auf Demokratie und Rechtsstaat prägen die Gegenwart. In diesem Umfeld wäre ein Festhalten an Sonderwegen weder realistisch noch verantwortungsvoll. Denn die Sicherheit und die Zukunft der Schweiz sind untrennbar mit jener Europas verbunden.
Mit dem neuen Vertragspaket beweist die Schweiz, dass sie bereit ist, ihren Platz im Kreis der europäischen Demokratien aktiv und solidarisch wahrzunehmen – und dadurch zur Selbstbehauptung Europas beizutragen.
Die Schweizerische Gesellschaft für Aussenpolitik ist nach vertiefter Analyse der Verträge und der innenpolitischen Umsetzungsvorschläge des Bundesrates überzeugt: Die «Bilateralen III» liegen im fundamentalen Interesse unseres Landes. Sie stärken die Wirtschaft, schützen Arbeitsplätze, sichern die Versorgung, vertiefen die Kooperation mit unserer engsten Partnerin und erhöhen die Stabilität in unsicheren Zeiten. Wir werden unseren Beitrag leisten, damit eine faktenbasierte Debatte dazu stattfinden kann.
Kurz und kräftig. Die wöchentliche Dosis Aussenpolitik von foraus, der SGA und Caritas. Heute steht Kolumbien im Fokus. Guerillagewalt, Millionen Geflüchtete aus Venezuela und der Kollaps der Darién-Route machen das Land zum Brennpunkt der lateinamerikanischen Migrationskrise. Nr. 486 | 23.09.2025
Neue Beiträge von Joëlle Kuntz (La neutralité, le monument aux Suisses jamais morts) und Markus Mugglin (Schweiz – Europäische Union: Eine Chronologie der Verhandlungen) sowie von Martin Dahinden und Peter Hug (Sicherheitspolitik der Schweiz neu denken - aber wie?) Livre (F), Book (E), Buch (D)
Zu den BeiträgenDas Schweizer Mandat im UNO-Sicherheitsrat (2023 und 2024) fiel in turbulente Zeiten, der Rat hatte Schwierigkeiten, in den grossen Fragen Entscheide zu fällen. Jeden Samstag haben wir das Ratsgeschehen und die Haltung der Schweiz zusammengefasst.
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