Schweiz im Sicherheitsrat

Schweiz im Sicherheitsrat KW 50-2024

Syrien: Hinter geschlossenen Türen hat der Rat sich über die Auswirkungen des Umsturzes in Syrien und die militärischen Interventionen Israels, der USA und der Türkei auf die Blauhelmtruppe UNDOF (UN Disengagement Observer Force) auf den Golanhöhen unterrichten lassen. Die Truppen “beobachten” die Einhaltung des israelisch-syrischen Waffenstillstands und die “Entflechtung” ihrer Streitkräfte in diesem Gebiet. Israel hat nach dem Fall der Assad-Regierung in Damaskus syrische Stellungen angegriffen und Teile der “demilitarisierten” Grenzzone besetzt. Der UNO-Generalsekretär hat die “umfangreichen Verletzungen der Souveränität und territorialen Integrität Syriens” beklagt, “insbesondere» die israelischen Luftangriffe.

Gaza: In geschlossener Sitzung hat die UNO-Koordinatorin für Wiederaufbau und humanitäre Hilfe» (Senior Humanitarian and Reconstruction Coordinator) Bericht erstattet.

Jemen: Eine Beilegung des inner-jemenitischen Konflikts zwischen Regierung und Huthi-Rebellen ist nicht in Sicht, aber der UNO-Sondergesandte erklärte dem Rat, eine “friedliche Lösung” sei möglich, sofern die ausländischen Mächte am gleichen Strick zögen. Das ist nicht der Fall. In der Absicht, den Palästinensern im Gazastreifen gegen die israelische Vergeltungsaktion zu helfen, attackieren die Huthis die Schifffahrt im Roten Meer, internationale Hilfsorganisationen und diplomatisches Personal. Über 50 Personen werden gefangengehalten. Russland empfahl, ein jemenitischer Friedensprozess solle ohne Rücksicht auf internationale Verwicklungen in Gang gebracht werden. Die USA warfen Russland vor, “hunderte” von Jemenis für den Krieg gegen die Ukraine rekrutiert zu haben. Die Schweiz unterstützte die vor Jahresfrist unterbreiteten Vorschläge des UNO-Sondergesandten zu einer politischen Lösung für Jemen. Das Schwergewicht müsse auf eine umfassende Beteiligung und den Schutz der notleidenden Zivilbevölkerung (über 19 Millionen sind auf Hilfe angewiesen) gelegt werden. Auch nach Ende ihres Sicherheitsratsmandats werde die Schweiz sich weiter für das humanitäre Völkerrecht einsetzen und das UNO-Nothilfebüro OCHA grosszügig unterstützen: nous resterons une grande donatrice d’OCHA et nous avons aussi la Genève internationale comme centre opérationnel de l’humanitaire à votre disposition.

Afghanistan: Einstimmig hat der Rat das Mandat des Expertengremiums zur Überwachung der Sanktionen gegen die Taliban um 14 Monate verlängert. Das Analytical Support and Sanctions Monitoring Team unterstützt den zuständigen Ausschuss des Rats. Zuvor hatte der Rat sich über jüngste Verschärfungen der Diskriminierung von Frauen in Afghanistan unterrichten lassen. Die Chefin der UNO-Mission UNAMA (United Nations Assistance Mission in Afghanistan) berichtete, ein neuer Erlass über die “Förderung von Tugend und die Verhinderung von Laster” schliesse Frauen und Mädchen unter anderem vom Zugang zu medizinischer Bildung aus. UNAMA versuche, die Taliban-Machthaber davon abzubringen. Sie verteidigte diesen Kurs: “Engagement heisst weder Normalisierung noch Anerkennung”. Der Chef des UNO-Nothilfebüros erklärte, mit der neuen Richtlinie würden in den kommenden Jahren 36000 Hebammen und 2800 Krankenschwestern von der Ausübung dieser Berufe ausgeschlossen. Mit Ausnahme Russlands und Chinas forderten alle Ratsmitglieder die Aufhebung des Erlasses. China sagte, unter den Taliban seien die Sicherheitslage und die Wirtschaft verbessert worden. Russland empfahl “pragmatische Kooperation”. Beide wandten sich gegen “diktierte Bedingungen” für humanitäre Hilfe. Laut UNO-Angaben ist Afghanistan nach Sudan die zweitgrösste humanitäre Notlage in der Welt. Die Schweiz erinnerte an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, forderte den Einschluss der weiblichen Hälfte der afghanischen Bevölkerung “bei der Gestaltung der Zukunft” und unterstrich die Bedeutung der Menschenrechte im Mandat von UNAMA. Elf derzeitige und drei künftige Ratsmitglieder traten mit einer gemeinsamen Erklärung vor das UNO-Mikrophon und forderten Gleichberechtigung der Afghaninnen.

Tribunale: Die UNO-Sondergerichte zur Aburteilung von Kriegsgräueln in Jugoslawien und Rwanda sind abgewickelt, aber ein “Residualmechanismus” namens IRMCT (International Residual Mechanism for Criminal Tribunals) bleibt für die Verfolgung unerledigter Geschäfte aktiv. In der Berichtswoche hat er dem Rat zum 25. Mal Bericht erstattet. Es geht um flüchtige Angeklagte, fehlende Kooperation nationaler Gerichtsbarkeiten, Strafvollzug und die Sicherstellung des umfangreichen Archivmaterials. Russland und Serbien forderten eine Zurückstufung der Tätigkeit. Die Schweiz hielt dagegen. Der Mechanismus bleibe ein wesentliches Element im Kampf gegen die Straflosigkeit. Eine “zentrale Frage” sei die Sicherung des Archivmaterials. Die Schweiz versprach Einsatz: La Suisse se tient à disposition, y compris en tant qu’Etat hôte, pour mobiliser son expertise et contribuer, à partir du cas du Mécanisme, à générer une réflexion globale sur le futur des archives des nombreux mécanismes engendrés par les nations unies.

Kongo: Während die Vorbereitungen für einen geordneten Abbau der UNO-Blauhelmmission MONUSCO (Mission de l’ Organisation des Nations Unies pour la stabilisation en République Démocratique du Congo) weiterlaufen, verschlechtert sich die Sicherheitssituation in den Provinzen Nord-Kivu und Ituri. Die Chefin von MONUSCO berichtete dem Rat, es seien dort mehrere bewaffnete Gruppen aktiv. Sie stellte fest, dass die «Landkarte der Gewalt» mit der «Landkarte der Bodenschätze» übereinstimme. Die Bewegung ADF sei die mörderischste, und die von Rwanda unterstützte M23 habe Die von Rwanda unterstützte M23 habe ihre «zivile und militärische Kontrolle» über Nord-Kivu ausgebaut. MONUSCO ist mit 12000 Soldaten die grösste bewaffnete UNO-Mission. Die Regierung in Kinshasha hat ihren Abzug bis Ende dieses Jahres verlangt. In einer ersten Phase zog sich MONUSCO aus der Provinz Süd-Kivu zurück. Die Missionschefin erklärte, das Nachfolgemandat solle «auf die territoriale Sicherheitsdynamik» und den Schutz der Zivilbevölkerung zugeschnitten sein. Die blutigen Konflikte haben nach UNO-Angaben 6,4 Millionen Menschen vertrieben. Der oft geforderte «Schutz der Zivilbevölkerung» ist an einem kleinen Ort. Eine junge Kongolesin berichtete dem Rat von gezielten Angriffen auf Vertriebenenlager: «In ein Lager zu fliehen oder daheim zu bleiben, läuft auf die Wahl heraus, wo du sterben willst». Grosse Hoffnungen werden zurzeit auf die Wirtschaftsgemeinschaft des Südlichen Afrika (Southern African Development Community SADC) und den von Angola geführten “Luanda-Prozess” gesetzt. Die Demokratische Republik Kongo und Rwanda haben im Sommer eine Art Waffenstillstand und unlängst ein “Operationskonzept” (concept of operations) vereinbart. In der Ratsdebatte warfen beide Seiten einander vor, bewaffnete Gruppen weiterhin zu unterstützen – Rwanda die M23, und die DRC-Regierung die FARDC, der auch aus Rwanda geflüchtete Anhänger des völkermörderischen Hutu-Regimes angehören. Die Schweiz sprach MONUSCO das Vertrauen aus und versprach, sich auch nach Ablauf des Sicherheitsratsmandats weiterhin aktiv an der Suche nach einer Friedenslösung zu beteiligen: la Suisse continuera à soutenir les efforts régionaux pour trouver des solutions politiques au conflit et renforcer la participations des femmes.

Somalia: Der Rat hat die Sanktionen gegen die islamistische Al-Shabaab einstimmig um zwei Monate verlängert. Bis dann soll ein neues Sanktionsregime für die Zeit nach dem vereinbarten Ende der UNO-Blauhelmmission vereinbart werden.

Zentralafrika: Kongo-Konflikt hin und her, das in 11 Staaten operierende UNO-Büro für Zentralafrika (UN Regional Office for Central Africa UNOCA), angesiedelt in Libreville/Gabon, sieht das Glas halb voll. Der UNOCA-Chef berichtete dem Rat von erfolgreich verlaufenen Wahlen in Gabon, Rwanda oder Sao Tomé/Principe (“Modell eines friedlichen Machtwechsels”). Mehrere Länder hätten UNO-Unterstützung bei der Durchführung von Wahlen oder Referenden angefordert. Neben der prekären Sicherheits- und Versorgungslage sei der Klimawandel eine wesentliche Herausforderung der Region. Fast alle zentralafrikanischen Länder seien in diesem Jahr von Überschwemmungen heimgesucht worden, welche 3,2 Millionen Menschen aus ihren Heimstätten vertrieben und Spannungen verschärft hätten. Der Rat hat das Mandat von UNOCA unlängst verlängert und sich in einer einstimmigen Präsidialerklärung zur Region geäussert. Die Schweiz versprach nachhaltiges Engagement für politische Friedensprozesse und Augenmerk auf den Klimawandel. Als Ko-Präsidentin der Expertengruppe “Klima, Frieden, Sicherheit” habe sie sich gemeinsam mit Mosambik eingesetzt, die einschlägigen Sicherheitsrisiken zu verstehen. In diesem Monat seien die Mitglieder der Gruppe nach Tschad und Nigeria gereist, um direkten Kontakt mit den Experten der UNO-Regionalbüros für Zentralafrika und Westafrika/Sahel aufzunehmen.

Sanktionen : Mehrere Vorsitzende der Sanktionsausschüsse haben dem Rat über ihre Arbeit berichtet. Der Sudan-Ausschuss (Sanktionen im Zusammenhang mit Übergriffen in Darfur) hat im Zuge des neu aufgeflammten Bürgerkriegs zwei Personen neu auf seine Liste gesetzt. Fünf Vorsitzende, die Ende Jahr aus dem Rat ausscheiden, haben Bilanz gezogen. Zu ihnen gehört die Schweiz, die den Ausschuss präsidiert, welcher die Umsetzung der Sanktionen gegen Nordkorea überwacht. Er erfuhr eine empfindliche Schwächung, weil das Mandat der begleitenden Expertengruppe aufgrund eines russischen Vetos nicht verlängert wurde. Die Schweizer Botschafterin forderte den Rat auf, ein neues derartiges Mandat zu beschliessen. Nordkorea missachtet die UNO-Sanktionen (Waffenexportverbot, Verbot von Nuklearwaffen- und Raketentechnologie) offen und systematisch. Dies stelle «eine wachsende globale Bedrohung» dar, erklärte die Schweizer Vertreterin. Die bestehende «Architektur von Abrüstung und Rüstungskontrolle» sei damit gefährdet. «Wenn wir die Sanktionsmassnahmen als wirkungsvolles Instrument des Rates zur Aufrechterhaltung der nuklearen Non-Proliferation behalten wollen, ist ein Alarmruf nötig». Neben der Wiedereinsetzung eines Expertengremiums nannte sie die Präzisierung von «humanitären Ausnahmen» von Sanktionen als Reformbedarf. Der Nordkorea-Ausschuss habe während ihrer Amtszeit 48 solche Ausnahmen bewilligt.

Minen: Japan hat eine informelle Debatte über den Stand der Umsetzung der Anti-Personenminen-Konvention organisiert. Die Schweiz anerkannte Fortschritte, wies aber darauf hin, dass weiterhin “tausende von Quadratkilometern” Land durch Minen unzugänglich gemacht seien, teils seit Jahrzehnten. Sie warb für das Genfer Zentrum für humanitäre Minenräumung, das sich für internationale Standards und die Erschliessung neuer Technologien einsetze. Die Schweiz sei in betroffenen Ländern wie Ukraine, Kolumbien, Kongo, Syrien oder Kambodscha aktiv. Auch dort, wo es heute keinen Zugang gebe, “so wie in Gaza”, müssten heute travaux anticipatoires unternommen werden.

 

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Kurz und kräftig. Die wöchentliche Dosis Aussenpolitik von foraus, der SGA und Caritas. Heute steht Aserbaidschans Beziehung zu Russland im Fokus. Einst postsowjetische Verbündete, distanziert sich Aserbaidschan seit 2020 zunehmend vom Einfluss des Kremls. Nr. 483 | 12.08.2025

Eine Aussenpolitik für die 
Schweiz im 21. Jahrhundert

Neue Beiträge von Joëlle Kuntz (La neutralité, le monument aux Suisses jamais morts) und Markus Mugglin (Schweiz – Europäische Union: Eine Chronologie der Verhandlungen) sowie von Martin Dahinden und Peter Hug (Sicherheitspolitik der Schweiz neu denken - aber wie?) Livre (F), Book (E), Buch (D)    

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Das Schweizer Mandat im UNO-Sicherheitsrat (2023 und 2024) fiel in turbulente Zeiten, der Rat hatte Schwierigkeiten, in den grossen Fragen Entscheide zu fällen. Jeden Samstag haben wir das Ratsgeschehen und die Haltung der Schweiz zusammengefasst.

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