Somalia: Der Rat hat die in Abwicklung befindliche, zur Ausübung von Zwang autorisierte Militärmission der Afrikanischen Union (ATMIS) bis Ende Juni 2024 einstimmig verlängert. Das Sanktionsregime gegen bestimmte somalische Ein- und Ausfuhren (Waffen, Kohle, Sprengstoffkomponenten) wurde bis Ende Jahr verlängert. Die somalische Regierung drängt auf Aufhebung mit dem Argument, sie müsse sich bewaffnen können, wenn die ATMIS-Truppe nicht mehr zur Verfügung stehe.
Zentralafrikanische Republik (CAR): Mit 14 Stimmen bei einer Enthaltung (Russland) hat der Rat das Mandat der Blauhelmmission MINUSCA (Mission multidimensionnelle intégrée des Nations unies pour la stabilisation en Centrafrique) um ein Jahr verlängert. Das Mandat schliesst die Förderung und Überwachung der Menschenrechte mit ein. Russland enthielt sich, weil der Text die Rolle der «bilateralen Partner» des Landes nicht würdigt. Die Regierung in Bangui hat die russische Söldnertruppe “Wagner” ins Land geholt, um bewaffnete Widerstandsgruppen zu bekämpfen.
Jemen: Die Sanktionen gegen Einzelpersonen und Organisationen in Jemen (Reiseverbote, Kontensperre) sind einstimmig um ein Jahr verlängert worden.
Sudan: Das Mandat der UNO-«Interimsstreitkraft» in der sudanesischen Region Abyei ist einstimmig verlängert worden. Die Region ist als neutralisierte «Sonderverwaltungszone» definiert. In einer dem Bürgerkrieg in Sudan gewidmeten Sitzung malten UNO-Vertreter ein düsteres Bild: Während die humanitäre Lage sich laufend verschlechtert, intensivieren zwei rivalisierende Armeen ihre Kämpfe weiter. Beide Seiten benutzen sexualisierte Gewalt als Waffe. Schwelende ethnische Konflikte flammen auf. Weitere Provinzen sind vom Krieg ergriffen. 7,1 Millionen Menschen sind aus ihren Wohnstätten vertrieben worden. Die Schweiz forderte einen sofortigen Waffenstillstand: Les combats doivent cesser immédiatement.
UNO-Polizei: Die UNO setzt – falls die Mitgliedsstaaten das Personal «stellen» – nicht nur Soldaten, sondern auch Polizisten als Blauhelme ein. Ziel ist, zu schwache nationale Polizeien aufzubauen (capacity building) oder an ihre Stelle zu treten, wenn kein polizeilicher Schutz mehr besteht. Der UNO-«Polizeiberater» nannte Bereiche, in denen Expertise gefragt ist: Organisiertes Verbrechen, Umweltverbrechen, Terrorismus, Bombenbau (improvised explosive devices), forensische Techniken, sexuelle und gender-basierte Gewalt, Französischkenntnisse (für Afrika). Erste Bedingung: der «Gaststaat» muss wollen. Wo die Zustimmung der nationalen Regierung fehle, sei nichts auszurichten. Die Schweiz regte an, beim Abzug von UNO-Blauhelmtruppen (derzeit in Mali beschlossen und in anderen afrikanischen Staaten gefordert) die UNO-Polizeikontingente zu verstärken, um in Übergangsphasen Sicherheit zu schaffen. Sie kritisierte den oft beobachteten Hang zur statistischen Qualitätskontrolle in der UNO-Bürokratie: «Zum Beispiel sollte man nicht bloss die Anzahl Patrouillen zählen, sondern auch ihre Wirkung evaluieren».
Terrorismus: Mit dem Komplex der «Terrorismusbekämpfung» befassen sich drei Sanktionsausschüsse: Einer (genannt 1373) ist für «Terrorismus» an und für sich zuständig. Ein zweiter (genannt 1267) für Al-Kaida. Und ein Dritter (genannt 1540) für die Proliferation von Massenvernichtungswaffen. Einmal pro Jahr treten alle drei gemeinsam vor den Rat. Die Vorsitzenden erklärten, dass sie enger zusammenarbeiten, um neuartigen Bedrohungen zu begegnen (Beispiel: Nutzung neuer Technologien). Die Schweiz hob hervor, dass Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte bei der Umsetzung von UNO-Sanktionen nicht ausser Acht gelassen werden sollen. Das gegen Al-Kaida verhängte Sanktions-Regime (Resolution 1267) sieht – im Gegensatz zu den anderen – die Möglichkeit einer humanitären Ausnahme (Anwendungsbeispiel: Nordsyrien) und die Position eines Vermittlers vor, dem Beschwerden unterbreitet werden können. Das ist seit langem ein Anliegen der Schweiz. In der Debatte wies sie darauf hin, dass «der Kampf gegen den Terrorismus negative Auswirkungen auf den öffentlichen Raum haben kann» und deshalb «die Stimme der Zivilgesellschaft» gehört werden müsse: «Wir müssen auf die Bedürfnisse derjenigen achten, die wir schützen wollen».
Ukraine: Zum dritten Mal hat Russland eine informelle Debatte über die Verfolgung einer Orthodoxen Kirche in der Ukraine einberufen. Mit dem Zerfall der Sowjetunion hatten sich die Orthodoxen in eine vom «Patriarchen» in Kiew und eine vom «Patriarchen» in Moskau abhängige Institution gespalten. Der Moskau-abhängige Zweig steht unter dem Verdacht, die russische Invasion gutzuheissen. Er wird verfolgt. Die ukrainische Regierung verbietet «religiöse Organisationen, die mit Einflusszentren in Russland verbunden» sind. Gegen mehrere Kleriker wurden Gerichtsverfahren angestrengt, die Entfernung der Konfession aus dem berühmten Pechersk Lavra Kloster in Kiew angeordnet. Die Schweiz nahm auf diese Vorfälle keinen Bezug, sondern appellierte in allgemeiner Form an alle Staaten, die Religionsfreiheit zu respektieren, «damit jedes Individuum seine Grundrechte ausüben kann». Sie verurteilte «die russischen Luftangriffe, die nicht nur schmerzliche Verluste an Menschenleben, sondern auch schwere materielle Zerstörungen hervorrufen». Sie forderte Russland auf, «seine militärische Aggression sofort einzustellen».
Reform: Die UNO-Generalversammlung hat die jährliche Debatte über den Umbau des längst nicht mehr zeitgemässen Sicherheitsrats (Untervertretung des globalen Südens, Übervertretung Europas) abgehalten . Die seit langem gleichen Argumente wurden vorgetragen, längst bekannte, widerstreitende Vorschläge («Gruppe der Vier» mit Deutschland, «Einigkeit für Konsens» mit Italien, permanente Sitze für Afrika) wiederholt. Die Schweiz unterstützte eine Erweiterung des Rats, insbesondere zugunsten Afrikas. Sie schlug vor, eine dritte Kategorie von Sicherheitsratsmitgliedern zu schaffen: Eine «sehr beschränkte Zahl nichtständiger, aber erneuerbarer Sitze». Heute besteht der Rat aus 5 ständigen Mitgliedern mit Vetorecht und 10 nichtständigen, die auf zwei Jahre gewählt sind. Die Vorschläge und Ideen über eine repräsentativere Zusammensetzung (auch aus der Schweiz: siehe SGA-Artikel «ein Schweizer Vorschlag») sind zahlreich, aber bisher war keiner stark genug, um die notwendige Änderung der UNO-Charta herbeizuführen.
Schweizer Erklärungen:
Kurz und kräftig. Die wöchentliche Dosis Aussenpolitik von foraus, der SGA und Caritas. Heute steht Kolumbien im Fokus. Guerillagewalt, Millionen Geflüchtete aus Venezuela und der Kollaps der Darién-Route machen das Land zum Brennpunkt der lateinamerikanischen Migrationskrise. Nr. 486 | 23.09.2025
Neue Beiträge von Joëlle Kuntz (La neutralité, le monument aux Suisses jamais morts) und Markus Mugglin (Schweiz – Europäische Union: Eine Chronologie der Verhandlungen) sowie von Martin Dahinden und Peter Hug (Sicherheitspolitik der Schweiz neu denken - aber wie?) Livre (F), Book (E), Buch (D)
Zu den BeiträgenDas Schweizer Mandat im UNO-Sicherheitsrat (2023 und 2024) fiel in turbulente Zeiten, der Rat hatte Schwierigkeiten, in den grossen Fragen Entscheide zu fällen. Jeden Samstag haben wir das Ratsgeschehen und die Haltung der Schweiz zusammengefasst.
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