Schweiz im Sicherheitsrat

Schweiz im Sicherheitsrat KW 51-2024

Syrien: Der UNO-Sondergesandte hat dem Rat aus Damaskus über die Fortsetzung seiner Vermittlungsbemühungen nach dem Sturz von Präsident Assad berichtet. Er sagte, er sei mit den Führern der Rebellen und den übrigen Akteuren in- und ausserhalb Syriens im Kontakt. Als Ziele nannte er die Aufrechterhaltung der staatlichen Institutionen, eine neue Verfassung und freie Wahlen. Er warnte, die Konflikte in Syrien seien noch nicht beendet. Im Nordosten bleiben die von den USA unterstützten Syrian Democratic Forces aktiv, im Südwesten führt Israel seine Angriffe auf syrische Militärziele und die Besetzung von Teilen der entmilitarisierten Zone auf den Golanhöhen fort. Russland, China und mehrere andere Staaten forderten das Ende der europäischen und amerikanischen Sanktionen gegen das Assad-Regime. Die Schweiz forderte die Einhaltung des humanitären Völkerrechts, Rücksicht auf Minderheiten und Respekt der Souveränität Syriens. Sie verwies auf zwei in Genf angesiedelte UNO-Organe, die institution indépendante pour les personnes disparues und den Mécanisme international, impartial et independent des Menschenrechtsrates. Die Schweiz offerierte Genf als Ort für Verhandlungen: La Suisse continuera à mettre Genève à disposition pour tous pourparlers ou initiatives de paix sous l’égide de l’ONU et de son Envoyé spécial. Solche Gespräche waren seit der schweizerischen Reaktion auf Russlands Krieg gegen die Ukraine von Moskau und der gestürzten Assad-Regierung blockiert worden.

Golan/UNDOF: Der Rat hat das Mandat der UNO-Blauhelmtruppe auf den Golanhöhen an der syrisch-israelischen Grenze um sechs Monate verlängert. UNDOF (UN Disengagement Observer Force) ist seit 1974 damit beschäftigt, eine entmilitarisierte Zone zu überwachen. Die Entmilitarisierung ist nach dem Sturz der Assad-Regierung in Damaskus aufgehoben, nachdem Israel Teile der Zone besetzt und syrische Positionen angegriffen hat. Die UNO sagt, die Bewegungsfreiheit von UNDOF sei seither “ernsthaft beeinträchtigt”. Von täglich 55-60 “Aktivitäten” könne sie derzeit nur “drei bis fünf logistische Bewegungen” durchführen.

Gaza: In der monatlichen Aussprache über den israelisch-palästinensischen Konflikt kritisierte der zuständige UNO-Vertreter das israelische Vorgehen in Gaza und im Westjordanland als “schrecklich und nicht zu rechtfertigen”. Seinen Angaben zufolge sind seit den Hamas-Angriffen vom Oktober 2023 mittlerweile 45 000 Personen in Gaza und über 1700 in Israel umgekommen. 100 Geiseln bleiben in der Hand von Hamas. Die meisten Ratsmitglieder forderten einen Waffenstillstand und die Respektierung der dazu verabschiedeten Ratsresolutionen. Die USA erklärten, ein sofortiger und bedingungsloser Waffenstillstand werde kein Ende der Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern bringen. Stattdessen solle der Rat von Hamas die sofortige Freilassung aller Geiseln verlangen. Die UNO und Israel sollten über “pragmatische Schritte” zur besseren Versorgung der Eingekesselten in Gaza verhandeln. Das israelische Parlament hat der UNO-Palästinahilfe UNRWA verboten, von Israel aus aktiv zu werden, die Bestimmungen treten Ende Januar in Kraft. Laut UNO-Angaben bewilligt Israel nur ein Drittel der angeforderten Hilfstransporte nach Gaza. Die Not dort ist gross. Seit Kriegsbeginn sind 330 humanitäre Helfer ums Leben gekommen, davon über die Hälfte Angehörige von UNRWA. Die Schweiz erklärte sich darüber profondément préoccupé. Sie erinnerte an die von ihr eingebrachte Ratsresolution über den besonderen Schutz humanitärer Helfer in Kriegssituationen und die “zentrale Rolle der UNRWA”. Das UNO-Hilfswerk sei ein «humanitärer Hauptakteur im Gazastreifen” und ein “wichtiger Pfeifer gegen eine noch stärkere Destabilisierung der Region”. Die Schweiz stellte sich hinter das vorläufige Urteil des Internationalen Gerichtshofs, der die israelische Besetzung von Gaza und Westjordanland als illegal erklärt. Die Besetzung müsse “in kürzest möglicher Zeit” beendet werden.

Sudan: Unter amerikanischem Vorsitz hat der Rat sich mit der humanitären Lage in Sudan befasst, wo seit 20 Monaten ein Bürgerkrieg im Gange ist. 21 Millionen Vertriebene sind im Landesinnern und 5 Millionen Flüchtlinge ausserhalb auf Hilfe angewiesen. Nach Angaben des UNO-Welternährungsprogramms leiden 1,7 Millionen Hunger. Zahlreiche Ratsmitglieder forderten einen Waffenstillstand. Ein Vertreter des Masalit-Stammes berichtete, sein Volk werde von der Kriegsarmee Rapid Support Forces (RSF) wegen seiner ethnischen Identität systematisch massakriert. Der Vertreter Sudans beschuldigte die Vereinigten Arabischen Emirate, den RSF Waffen zu liefern. Mehrere Staaten strichen ihre Anteile an der humanitären Hilfe hervor. Die Schweiz forderte uneingeschränkten Zugang für humanitäre Versorgung überall. Seit Beginn der Kämpfe habe sie 100 Millionen Dollar für Sudan-Hilfe ausgegeben, und sie werde dieses Niveau beibehalten.

Kongo DRC: Vor dem Hintergrund neu aufflammender Kämpfe im Osten der Demokratischen Republik Kongo hat der Rat das Mandat der UNO-Mission MONUSCO (mission de l’Organisation des Nations Unies pour la stabilisation en République démocratique du Congo) einstimmig um ein Jahr verlängert. Rund 14 000 Blauhelmtruppen (Militär und Polizei) sind ermächtigt, «alle Mittel» einzusetzen, um «Angriffen von bewaffneten Gruppen auf die Zivilbevölkerung prompt und wirkungsvoll vorzubeugen». Die USA bedauerten, dass es nicht gelungen sei, Rwandas Unterstützung der Bewegung M 23 im Text zu benennen. M 23 hat nach UNO-Angaben in Nord-Kivu einen nach dem Abzug von MONUSCO vereinbarten Waffenstillstand gebrochen. MONUSCO soll auf Wunsch der kongolesischen Regierung abgewickelt werden – ursprünglich bis Ende dieses Jahres.

Libyen: In der zweimonatlichen Sitzung zu Libyen hat die UNO-Mission UNISMIL (UN Support Mission in Libya) den Plan für eine “umfassende politische Initiative zur Überwindung der bestehenden Blockade” vorgelegt. Daraus soll eine “einheitliche Exekutivbehörde” entstehen. Der libysche Vertreter hatte dafür nur Spott übrig: “Die Libyer fühlen sich in der Wiederholung einer Episode in derselben TV-Serie”. Nach dem Sturz des Diktatoren Gaddafi ist es nicht gelungen, rivalisierende Kräfte in nationalen Institutionen zusammenzubringen. Die Schweiz forderte die Schaffung “eines günstigen Umfelds für einen politischen Prozess”, Garantien für die Beteiligung von Frauen und Minderheiten und eine Beschneidung der Aktionsradien der “bewaffneten Gruppen”. Sie bot sich als Konsulentin an: la Suisse est prête à mettre à disposition ses instruments de politique de paix.

Westafrika und Sahel: Der Chef des UNO-Büros für Westafrika und Sahel (UNOWAS – UN Office for West Africa and the Sahel) warnte den Rat vor steigenden Bedrohungen der Region durch gewalttätige «nichtstaatliche Gruppen» (gemeint sind vor allem islamistische Bewegungen), Einschränkungen der Bürgerfreiheiten, labilen «Transitionen» hin – oder zurück – zu demokratisch legitimierten Herrschaftsmodellen, wachsender humanitärer Not und Auswirkungen des Klimawandels. Er forderte stärkere Unterstützung regionaler Ansätze. Dabei nannte er die Westafrikanische Wirtschaftsunion ECOWAS (Economic Community of West African States), welche Mali, Niger und Burkina Faso nach Militärputschen verlassen haben, und die in Tschad gegen die Bewegung Boko Haram operierende Multinational Joint Task Force, die von Tschad, Niger und Nigeria bestückt wird. Die Schweiz, zusammen mit Mosambik federführendes Ratsmitglied im UNOWAS-Dossier, erklärte, die «Herausforderungen» seien «nicht unüberwindbar». Als Quintessenz ihrer zweijährigen Ratserfahrung und aus den Erkenntnissen auf einer Reise vor Ort nach Tschad nannte sie drei wesentliche Punkte. Erstens ein «holistischer» (will heissen: gesamtheitlicher) Ansatz bei der Schaffung von Frieden und Sicherheit, der die humanitäre Versorgung und die wirtschaftliche («sozio-ökonomische»)Entwicklung berücksichtige (Im UNO-Jargon werden solche Fragen als triple nexus gewälzt). Zweitens «inklusive» politische Prozesse, welche auf die die gleichberechtigte «Autonomisierung» von Frauen und Jugend achteten. Und drittens der Einschluss von Massnahmen gegen den Klimawandel. Der Augenschein in Tschad habe gezeigt, wie die Folgen der Klimaveränderungen den «gewalttätigen Extremismus» und die Rekrutierung für «bewaffnete Gruppen» fördere. Es gelte aber auch das Gegenteil: le changement climatique peut être un point d’entrée pour une coopération locale, nationale et régionale, visant à promouvoir la cohésion sociale et la résilience.

Ukraine: Auf Antrag Frankreichs und Ecuadors hat der Rat sich mit der humanitären Lage in der Ukraine befasst. Sie verschlimmert sich, weil russische Angriffe 60 Prozent der Energieversorgung zerstört haben und die Wintertemperaturen auf bis zu -20 Grad Celsius sinken. Der Zugang zu Wasser, Wärme und Strom ist damit beschnitten. Hinzu kommt laut der zuständigen UNO-Berichterstattung der verstärkte Einsatz von Langstreckenraketen gegen die ukrainische Bevölkerung. In den Debatten wurden bekannte Standpunkte ausgetauscht. Die Schweiz forderte Einhaltung des Kriegsrechts, das Ende der russischen Angriffe auf zivile Anlagen, Garantien für die Sicherheit von Atomanlagen und den Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine. Russland verhöhnte die Sitzung als “verzweifelten Versuch der Sponsoren des Kiew-Regimes, die Ukraine als Thema im Sicherheitsrat am Leben zu erhalten”. Spiegelverkehrt musste der Rat sich wenige Tage später auf russischen Antrag zum x-ten Mal mit den ausländischen Waffenlieferungen an die Ukraine befassen. Die Schweiz zeigte klare Kante. Sie wies darauf hin, dass ein Sicherheitsratsmitglied gemäss UNO-Charta in den Ausstand treten müsse, wenn eigene Angelegenheiten betroffen seien. «Das ist etwa die 70. Sitzung zur Ukraine», sagte die Schweizer Botschafterin. «Wie bei jeder Sitzung zu diesem Thema wiederhole ich heute, dass die militärische Aggression Russlands eine unverhohlene Verletzung der Charta der Vereinten Nationen ist, für welche es keine Rechtfertigung gibt. Und zum 70. Mal wiederhole ich , dass Russland seine Truppen unverzüglich aus der Gesamtheit des ukrainischen Territoriums abziehen soll. Diese Wiederholung ist wichtig. Was in der Ukraine geschehen ist, können und dürfen wir auf keinen Fall normalisieren, weil wir damit unsere multilaterale Ordnung gefährden».

Irans Nuklearprogramm: Am 18. Oktober 2025 läuft die Sicherheitsratsresolution 2231 aus. Das ist die Resolution welche den Joint Comprehensive Plan of Action (JCPoA) sanktioniert. So heisst das Abkommen zwischen Iran auf der einen und den fünf ständigen Sicherheitsratsmitgliedern, Deutschland und der EU auf der anderen Seite, welches das iranische Atomprogramm so einschränken wollte, dass die Entwicklung einer iranischen Atombombe nicht möglich wäre. Im Gegenzug sollten westliche Sanktionen gegen Iran aufgehoben werden. Die Trump-Administration in den USA hatte das Abkommen gekündigt, die Biden-Administration hat sich nicht wieder angeschlossen, Iran hat seine Urananreicherung weit über die abgemachten Limiten vorangetrieben. In der Debatte erklärte die zuständige UNO-Vertreterin, die Internationale Atomenergie-Agentur habe den Zugang zum iranischen Programm verloren und könne sein genaues Ausmass nicht mehr abschätzen. In der Debatte sagte kein Ratsmitglied etwas von operationalisierbarem Belang. Die Schweiz erklärte, nukleare Nonproliferation und Abrüstung seien in der heutigen Zeit besonders wichtig.

Nordkorea: Auf Antrag Frankreichs, Japans, Maltas, Sloweniens, Grossbritanniens und der USA hat der Rat sich mit dem militärischen Engagement Nordkoreas im Ukrainekrieg befasst. Die Sachverhalte sind offensichtlich, aber die offiziellen Stellungnahmen der UNO waren als Konditionalsätze formuliert: “Sollte es sich bewahrheiten”, “falls es stimmt”. Seit Russland der offiziell mandatierten Nordkorea-Expertengruppe durch sein Veto den Stecker gezogen hat, ist die UNO blind. Ein britisches Privatunternehmen, «Conflict Armament Research», legte Untersuchungen vor, denen zufolge der Einsatz nordkoreanischer Hwasong-Raketen gegen Ziele in der Ukraine dokumentiert ist. Die zuständige UNO-Vertreterin zeichnete anhand öffentlich zugänglicher Information nach, wie Nordkoreas Rüstungsprogramm bestehende UNO-Sanktionen verletzt. Die Schweiz erklärte, die neuen Informationen, si confirmés, zeugten von globaler Gefahr: de graves conséquences pour la sécurité européenne, asiatique et globale.

Künstliche Intelligenz: Die USA haben eine hochrangige Debatte über die Folgen von Künstlicher Intelligenz (KI) auf Politik, Frieden und Sicherheit veranstaltet. Die Welt werde von KI nicht bloss gestaltet, sondern “revolutioniert”, erklärte der UNO-Generalsekretär. Bereits seien laufende Konflikte zum “Testgelände” für militärische Anwendungen geworden. Unter allen Umständen müsse die Verbindung von KI mit Nuklearwaffen verhindert werden. Sein High-level advisory board habe die “Blaupause” für Massnahmen entwickelt, der im vergangenen September geschlossene UN Global Digital Compact müsse mit der Bildung eines International Scientific Panel und der Lancierung eines Global Dialogue on AI Governance umgesetzt werden. Der US-Aussenminister liess einen Vertreter des Konzerns Meta (“führend” bei der Unterstützung von Regierungen zur “Kontrolle der digitalen Kost ihrer Bürger) und einen Professor der New York University (“neue Epoche der Erleuchtung der Menschheit”) auftreten. Frankreich kündigte einen KI-Gipfel im kommenden Februar an. Die Schweiz verwies auf die von ihr veranstalteten Ratssitzungen über den Einsatz von KI bei Friedensoperationen und den Einfluss neuer Technologien auf Frieden und Sicherheit. Sie warb für ein mit der Genfer DiploFoundation entwickeltes Tool zur leichteren Erfassung von Ratsprotokollen und die mit dem IKRK kreierten Ausstellungen «Digital Dilemmas» und «Deep Fakes».

Schweizer Erklärungen:

#Multilateralismus #Schweiz im Sicherheitsrat

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Die DiploFoundation in Genf ist eine von Malta und der Eidgenossenschaft mit getragene Organisation zur Unterstützung der Diplomatie insbesondere durch die Erschliessung neuer Technologien.

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Kurz und kräftig. Die wöchentliche Dosis Aussenpolitik von foraus, der SGA und Caritas. Heute steht Kolumbien im Fokus. Guerillagewalt, Millionen Geflüchtete aus Venezuela und der Kollaps der Darién-Route machen das Land zum Brennpunkt der lateinamerikanischen Migrationskrise. Nr. 486 | 23.09.2025

Eine Aussenpolitik für die 
Schweiz im 21. Jahrhundert

Neue Beiträge von Joëlle Kuntz (La neutralité, le monument aux Suisses jamais morts) und Markus Mugglin (Schweiz – Europäische Union: Eine Chronologie der Verhandlungen) sowie von Martin Dahinden und Peter Hug (Sicherheitspolitik der Schweiz neu denken - aber wie?) Livre (F), Book (E), Buch (D)    

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Das Schweizer Mandat im UNO-Sicherheitsrat (2023 und 2024) fiel in turbulente Zeiten, der Rat hatte Schwierigkeiten, in den grossen Fragen Entscheide zu fällen. Jeden Samstag haben wir das Ratsgeschehen und die Haltung der Schweiz zusammengefasst.

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