In der Schweizer Diplomatie äussert sich in- und ausserhalb der Verwaltung offene Kritik an der neutralen “Sowohl-als-Auch”-Haltung der Regierung zum Krieg in Gaza. Hochrangige Ehemalige und ein grössere Zahl aktiver Angehöriger des Aussenministeriums haben Bundesrat Cassis Briefe geschrieben. Sie fordern eine klare Positionierung der Schweiz gegen das israelische Vorgehen und konkrete Massnahmen gegen Israel.
Jae.Der Schweizer Aussenminister hält es im Gaza-Krieg mit der striktesten Neutralität. Man müsse “beide Seiten verurteilen”, erklärte er im Westschweizer Fernsehen. Das Kriegsrecht werde auf beiden Seiten verletzt, und es sei nicht richtig, alle Schuld auf Israel zu schieben. Die Hamas habe es in der Hand, einen “garantierten Waffenstillstand” herbeizuführen, wenn sie ihre verbleibenden Geiseln freilasse. Nach Angaben von Associated Press befinden sich noch 56 der am 7. Oktober 2023 entführten Geiseln in der Hand von Hamas. Nach Angaben der Hamas-Gesundheitsbehörden sind 54607 Personen umgekommen (Stand 6. Juni 2025), in der Mehrzahl Frauen und Kinder. Die Lage der Zivilbevölkerung ist verzweifelt, seitdem Israel die Lieferung humanitärer Hilfe durch die UNO abgeschnitten hat. “Die Menschen in Gaza sind am Verhungern”, erklärte der UNO-Sprecher in New York am 5. Juni.
Das offensichtliche Ungleichgewicht ist mit dem “Schutz der Zivilbevölkerung” – Spezialität, Priorität, Stolz, Tradition, Werbeargument der Schweizer Diplomatie – nicht vereinbar. Eine Reihe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterin des Aussendepartements sind bei Bundesrat Cassis vorstellig geworden. Die interne Demarche wird ergänzt durch einen offenen Aufruf von über 50 hochrangigen ehemaligen Diplomatinnen und Diplomaten.
Der Brief der EDA-Mitarbeiterinnen und -arbeitern verlangt die Abkehr vom neutralen “Sowohl-als-Auch” und eine klare Verurteilung Israels. Das Original ist Französisch (Deutsche Übersetzung: SGA)
Betrifft: Aufforderung zu einer Verurteilung durch die Schweiz der schweren Verletzungen des humanitären Völkerrechts in Gaza
Herr Bundesrat,
Im Oktober 2023, wenige Tage nach den mörderischen Attacken der Hamas und dem Beginn der israelischen Offensive im Gazastreifen, wurde Ihnen ein von rund 130 Personen unterzeichneter Brief zugestellt, um Sie auf die schwerwiegenden Risiken einer Erosioin des internationalen Völkerrechts und der Menschenrechte aufmerksam zu machen, Pfeilern des globalen Gouvernanzsystems und Fundamente der Aussenpolitik der Schweiz. In diesem Brief wurde die Bedeutung eines Engagements der Schweiz zugunsten des Respekts des internationalen Völkerrechts und des Schutzes der Zivilbevölkerung ungeachtet des Kontexts hervorgehoben. In Ihrer Antwort vom 24. Oktober 2023 haben Sie Ihr Engagement bekräftigt, unter Hinweis auf die Verantwortung der Schweiz als Depositärstaat der Genfer Konventionen. Neunzehn Monate später ist der Grad des Leidens der Bevölkerung von Gaza unerträglich geworden. Während die israelische Regierung ihre militärischen Operationen in Gaza weiterführt und intensiviert, sind wir tief schockiert über das Ausmass der Gewalt und der Zerstörung gegen die Zivilbevölkerungen, das humanitäre und medizinische Personal und das Ausmass der Zerstörungen lebenswichtiger Infrastrukturen, in offenkundigem Verstoss der Grundregeln des humanitären Völkerrechts. Als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des EDA, die sich täglich für die Verteidigung der humanistischen Werte der Schweiz und die Prinzipien in ihrer Verfassung einsetzen, appellieren wir in diesem Zusammenhang an Sie als Chef des Departements für auswärtige Angelegenheiten, die wahllosen Operationen der israelischen Armee in Gaza und Westjordanien scharf zu verurteilen. Und zugleich angemessene Massnahmen zu ergreifen, um Israel zur Einhaltung seiner Verpflichtungen zu bewegen. Ihr Engagement für die Respekterung des Völkerrechts ist dringlicher und nötiger denn je.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Über die Verurteilung der israelischen Operationen hinaus verlangt der Aufruf der Ehemaligen eine Reihe von Massnahmen gegen Israel – so unter anderem Einreisesperren, den Stop der militärtechnischen Zusammenarbeit und eine präzise Deklaration von Importen, um kenntlich zu machen, ob sie aus Israel selbst oder aus den israelisch besetzten Gebieten stammen. Der Text ist von mehr als 50 ehemaligen EDA-Diplomatinnen und Diplomaten unterzeichnet.
Kurz und Kräftig. Die wöchentliche Dosis Aussenpolitik von foraus, der SGA und Caritas. Heute steht der neu entbrannte Grenzkonflikt zwischen Thailand und Kambodscha im Fokus. Ende Mai eskalierten die jahrzehntelang anhaltenden Spannungen, weshalb die Nachbarländer seither Druck aufeinander ausüben. Nr. 482 | 15.07.2025
Neue Beiträge von Joëlle Kuntz (La neutralité, le monument aux Suisses jamais morts) und Markus Mugglin (Schweiz – Europäische Union: Eine Chronologie der Verhandlungen) sowie von Martin Dahinden und Peter Hug (Sicherheitspolitik der Schweiz neu denken - aber wie?) Livre (F), Book (E), Buch (D)
Zu den BeiträgenDas Schweizer Mandat im UNO-Sicherheitsrat (2023 und 2024) fiel in turbulente Zeiten, der Rat hatte Schwierigkeiten, in den grossen Fragen Entscheide zu fällen. Jeden Samstag haben wir das Ratsgeschehen und die Haltung der Schweiz zusammengefasst.
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