Lesetipp

Lektüre für den Citoyen

Max Imboden war ein revolutionärer Basler Staatsrechtsprofessor, der als Rechtsgelehrter der Bundesverfassung verpflichtet war, deren Anwendung durch die Schweiz in der Nachkriegszeit er aber scharf kritisierte. Monika Gislers Porträt kommt zur richtigen Zeit.

 

Ich habe Max Imboden nicht mehr selbst erlebt. Wohl aber, als blutjunger Jurastudent Ende 60er Jahre in Zürich sein juristisches Hauptwerk über die Verwaltungsrechtsprechung. Das tönt etwas speziell, war aber das Gegenteil. Er legte an Hand einiger Beispiele dar, dass der Staat dem Bürger nur im Rahmen von Gesetzen gegenübertreten darf. Im Gegenzug ist dieser als Rechtssubjekt verpflichtet, sich an der res publica aktiv zu beteiligen und nicht nur passiv auf staatliche Hilfe zu warten und einem Anführer zu folgen.

Mit professoraler Genauigkeit hat das Imboden so formuliert: “Mit der Ausrichtung des Staates auf einen reinen Nützlichkeitsmassstab  wird die abendländische Staatsidee in ihrem Kern verfälscht. Niemals kann die uns umschliessende äußere Ordnung nur als Instrument zur Schaffung besserer Daseinsbedingungen verstanden werden”. Dem Staat als Vorsorgeinstitution stellt er als Ideal den Verfassungsstaat gegenüber. In welchem der einzelnen Bürger, der Sicherheit einer übergeordneten Verfassung vertrauend, politisch mitwirkt, indem er sich informiert, austauscht und basierend darauf  sowohl seine parlamentarische Vertretung bestimmt als auch abstimmt.

Desinteresse in der direkten Demokratie – das Malaise

Imboden war überzeugt, dass die Schweiz in der Nachkriegszeit mit der ausbrechenden Hochkonjunktur  immer weiter vom Verfassungsstaat abwich. Seine unerbittliche und kämpferische Antwort darauf war die Streitschrift “Helvetisches Malaise”. Darin geisselte er die Schwächen des schweizerischen Regierungssystems – er sah das Herz einer Demokratie weniger in der direkten Demokratie als  in einem verfassungstreuen Parlament. Ebenso prangerte er das Desinteresse der Bevölkerung zur politischen Willensbildung an. Er war damit ein Wortführer in der Innenpolitik   –  auch als freisinniger Nationalrat  –  anderer damaliger Persönlichkeiten, die  mit  “Unbehagen im Kleinstaat” (Karl Schmid) kämpften und mit Blick auf die  internationale Isolation der Schweiz “Geist und Ungeist des Föderalismus” (Herbert Lüthy) diagnostizierten.

Die Schweiz von heute dürfte sich an einem ähnlichen Wendepunkt, einem Helvetischen Malaise 2.0 befinden. Anstelle der Sorglosigkeit in der Hochkonjunktur ist die Verzagtheit vor einer vermeintlich feindlichen Umwelt  getreten, die zu demokratischer Abstinenz oder widerspruchloser Akzeptanz  nationalkonservativer Rattenfängern führt.

Das lediglich 177 taschenbuchkleine Textseiten enthaltende Werk von Gisler umfasst auch  eine grosse Anzahl weitere Facetten von Imbodens Werk, Denken und Wirken. Dies gilt insbesondere für sein Bemühen, die westlichen Werte der Antike und  der Aufklärung für seine Studenten, aber auch für ein weiteres Publikum im politischen Alltag greifbar zu machen. Das Buch ist ideal geeignet, um  das aktuelle Malaise zu verstehen.

 

 

 

 

 

#Neutralität #Schweizer Aussenpolitik

Das Buch

Monika Gisler:Schöpferische Unruhe: Max Imboden (1915-1969). Schwabe, 2025. 177 Seiten. Fr. 52.90 (ebook Fr. 26.-)

Espresso Diplomatique

Kurz und kräftig. Die wöchentliche Dosis Aussenpolitik von foraus, der SGA und Caritas. Heute steht Kolumbien im Fokus. Guerillagewalt, Millionen Geflüchtete aus Venezuela und der Kollaps der Darién-Route machen das Land zum Brennpunkt der lateinamerikanischen Migrationskrise. Nr. 486 | 23.09.2025

Eine Aussenpolitik für die 
Schweiz im 21. Jahrhundert

Neue Beiträge von Joëlle Kuntz (La neutralité, le monument aux Suisses jamais morts) und Markus Mugglin (Schweiz – Europäische Union: Eine Chronologie der Verhandlungen) sowie von Martin Dahinden und Peter Hug (Sicherheitspolitik der Schweiz neu denken - aber wie?) Livre (F), Book (E), Buch (D)    

Zu den Beiträgen

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Das Schweizer Mandat im UNO-Sicherheitsrat (2023 und 2024) fiel in turbulente Zeiten, der Rat hatte Schwierigkeiten, in den grossen Fragen Entscheide zu fällen. Jeden Samstag haben wir das Ratsgeschehen und die Haltung der Schweiz zusammengefasst.

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