An einer Veranstaltung der Gesellschaft Schweiz-UNO zur Bilanz über das Schweizer Mandat im UNO-Sicherheitsrat hat Aussenminister Ignazio Cassis klarere Worte zur Weltlage als bisher gefunden. Noch deutlicher sprach der Vertreter des Militärdepartements.
«Phase der globalen Disruption», «Übergangszeit zu einer neuen Ära», Auflösung der «über Jahrzehnte gültigen Dogmen»: An der Bilanz-Veranstaltung der Gesellschaft Schweiz-UNO über das Schweizer Mandat im UNO-Sicherheitsrat ging Bundesrat Ignazio Cassis im Lagebeschrieb etwas weiter als das von der Schweizer Diplomatie gewohnte Mantra von der «Polykrise». Manchmal beobachte er in der Schweiz «eine gewisse Schadenfreude über diese Entwicklungen», die indessen fehl am Platz sei. : “Geopolitik ist kein Spektakel, das wir aus sicherer Distanz beobachten. Wir sind nicht nur Zuschauer, sondern mittendrin». Der Vertreter des Militärdepartements Joachim Adler, «Stellvertretender Chef Strategie und Kooperation» im Staatssekretariat für Sicherheitspolitik des VBS, hieb noch eine Idee deutlicher in dieselbe Kerbe. Zur labilen Weltlage sagte er : «Auch im Staatssekretariat für Sicherheitspolitik verstehen wir sie nicht. Umso wichtiger ist die analytische Distanz, von der Bundesrat Cassis spricht: Was ist neu? Was bleibt? Was ergibt sich für die Schweiz?»
Adler nannte eine Reihe neuer Phänomene: Die militärische Bedrohung in Europa: «Wir haben Krieg in Europa. Russland, Ständiges Mitglied des UNO-Sicherheitsrats und eine Atommacht, bedroht die NATO regelmässig und offen»; die hybride Kriegführung, «auch in der Schweiz. Die Gefahr der Desinformation wird unterschätzt. Mit Hannah Arendt ist festzustellen, dass das Ziel nicht darin besteht, dass die Leute etwas anderes glauben, sondern dass sie gar nichts glauben»; die Eskalation im Nahen Osten, «das Wiederaufflammen des Terrorismus», den Klimawandel. «Der Boden unter unseren Füssen bewegt sich. Die Weltordnung wird verändert. Es dominiert die Interessenpolitik. Es wird mehr wechselnde Koalitionen geben, die nicht wertegeleitet, sondern interessengeleitet sind».
«Die Globalisierung», sagte Adler. «Die Vernetzung ist zu stark. Selbst für die USA wird der Alleingang nicht funktionieren. Also auch nicht für die Schweiz». Für die Schweiz gelte weiterhin die Verortung auf dem Kontinent: «Die Schweiz bleibt in Europa, wirtschaftlich, politisch und sicherheitsbezogen. Unsere Partner haben uns 80 Jahre geschützt.» Schliesslich ist der VBS-Mann überzeugt , dass die in der UNO verankerten Werte Bestand haben: «Die Werte bleiben. Der UNO-Sicherheitsrat ist immer noch der Hüter dieser Werte. Sie sind universell. So universell, dass sie selbst für die Schweiz gelten».
«Sich wegducken wird schwieriger», sagte Adler. «Aussenpolitisches Stillhalten wird immer weniger verstanden. Die Lehre aus dem Sicherheitsratsmandat lautet: Wer mitreden möchte, muss das Maul aufmachen.» Auf Europa bezogen, plädierte der VBS-Mann für mehr Zusammenarbeit: «Wenn wir mit den europäischen Partnern kooperieren wollen, müssen wir etwas zurückgeben. Sicherheitspolitisch haben wir Aufholbedarf. Wir müssen bereit sein, mehr zu geben». Die «analytische Distanz» müsse sowohl gegenüber der Versuchung zu grossen Gesten und Erwartungen gewahrt werden wie auch gegenüber dem helvetischen Hang zur Duckmäuserei. Der gebotene Zweiklang sei «Mut und Demut», sagte Joachim Adler.
Kurz und kräftig. Die wöchentliche Dosis Aussenpolitik von foraus, der SGA und Caritas. Heute steht Kolumbien im Fokus. Guerillagewalt, Millionen Geflüchtete aus Venezuela und der Kollaps der Darién-Route machen das Land zum Brennpunkt der lateinamerikanischen Migrationskrise. Nr. 486 | 23.09.2025
Neue Beiträge von Joëlle Kuntz (La neutralité, le monument aux Suisses jamais morts) und Markus Mugglin (Schweiz – Europäische Union: Eine Chronologie der Verhandlungen) sowie von Martin Dahinden und Peter Hug (Sicherheitspolitik der Schweiz neu denken - aber wie?) Livre (F), Book (E), Buch (D)
Zu den BeiträgenDas Schweizer Mandat im UNO-Sicherheitsrat (2023 und 2024) fiel in turbulente Zeiten, der Rat hatte Schwierigkeiten, in den grossen Fragen Entscheide zu fällen. Jeden Samstag haben wir das Ratsgeschehen und die Haltung der Schweiz zusammengefasst.
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