Interview

«Ich frage mich, wer hier eigentlich die Intellektuellen sind»

Donald Trump ist am Gewinnen, und seine Gegner sind richtungslos. Joan Williams, eine  führenden Expertin für Gender- und Klassenfragen in den USA empfiehlt ihnen, die wirtschaftlichen Nöte der Mittelklasse ins Zentrum zu rücken. Und auf die Sprache zu achten.

Ihr Buch «Outclassed» greift über Donald Trump als politisches Phänomen hinaus und zieht Vergleiche mit der radikalen Rechten in Europa. Gibt es ähnliche grundlegende Merkmale?

Die tiefen Strukturen sind identisch. In den USA und in Europa erkennt und nutzt die radikale Rechte einen zentralen Klassenkonflikt zwischen dem Mittelstatus und der professionellen und Managerelite. Dieser Konflikt drückt sich in Europa auf viele ähnlichen Weisen aus wie in den Vereinigten Staaten. Der wichtigste gemeinsame Faktor ist die Haltung gegenüber der Einwanderung. Es gibt keine radikal rechte Partei, die Erfolg gehabt hätte, ohne die Einwanderung ins Zentrum zu stellen. Einwanderung ist für die radikale Rechte so ein schönes Thema, weil es ökonomische Ängste und kulturelle Ängste auf den Punkt bringt.

Welche ökonomischen Ängste?

Man nennt es die elephant curve. Die Globalisierung hat Millionen von Menschen in Asien aus der Armut gehoben. Aber den Preis zahlten Menschen aus den mittleren Bevölkerungsschichten  in fortgeschrittenen Industrieländern. Das ist genau die Gruppe, die sich der radikalen Rechten zuwandte. Die radikale Rechte redet über die Verlierer der Globalisierung und kanalisiert die Wut der Verlierer der Globalisierung. Und Verlierer definieren sich nicht allein durch die Zunahme der Ungleichheit zwischen Individuen, sondern auch der Ungleichheit zwischen Regionen. Die neoliberale globalistische Wirtschaft kanalisierte den Wohlstand hauptsächlich zu einigen wenigen Superstar-Städten und liess das Land und andere Städte links liegen. Die radikale Rechte verstand es, diese ökonomische Wut anzuzapfen und den Einwanderern die Schuld daran zu geben.

Was sind die kulturellen Ängste?

Mit dem Thema Einwanderung lassen sich gleichzeitig kulturelle Wut und kulturelle Ängste anzapfen. Die professionelle Managerelite, für die ich selbst ein perfektes Beispiel bin, ist sehr stolz darauf, Weltbürger zu sein. Wir haben Netzwerke, sicher nationale und oft auch internationale. Wir sind stolz darauf, weil wir so die Zugehörigkeit zu unserer höchsten sozialen Kategorie, unsere  Klasse, betonen. Der Stolz, ein Globalist– oder in Europa ein Europäer – zu sein, ist ein Ausdruck des Stolzes auf die eigene soziale Klasse. Die Menschen in der fragilen Mitte betonen ebenfalls die höchste soziale Kategorie, der sie angehören, aber das ist Deutscher oder Niederländer zu sein. Sie sind auf eine Art verwurzelt, wie es die professionelle Managerelite nicht ist. Ich würde sagen, dass wir so verwurzelt sind wie sie, ich fühle mich in Santiago/Chile oder in Leiden wohler als auf dem Land in Kansas. Aber unsere Heimaten sind anders als ihre. Im Gegensatz zu uns sind ihre sozialen Netze nicht national oder international, sondern sehr lokal.

Warum sind die Menschen in diesem mittleren Status mehr mit lokalen sozialen Zusammenhängen verbunden?

Aus sehr klassenspezifischen Gründen, einem materiellen und einem symbolischen, wie es sich in solchen Dingen oft ist. Der materielle Grund ist, dass Mittelklassefamilien für alles auf Familienmitglieder und Leute, die sich von jeher gekannt haben, angewiesen sind, vom Notfall bei der Kinderbetreuung über die Pflege alter Eltern bis zur Unterstützung, wenn das Dach geflickt werden muss. Dinge, die die professionelle Managerelite zur Ware macht. Wir bezahlen dafür.  In der Mitte ist es keine attraktive Option, dafür zu bezahlen, weil du schlechte Qualität kriegst, weil du nicht reich bist. Das sind materielle Grundlagen ihrer Verwurzelung, und einer Erwartung, dass Eltern und Kinder während ihres gesamten Lebens im selben sozialen Netz verharren. Ganz im Unterschied zur professionellen Managerelite. Und schliesslich sind sie sehr verwurzelt, weil du als Typ, der Toiletten verkauft, mit Leuten zusammen sein willst, die wissen, dass du nicht nur der Typ bist, der Toiletten verkauft. Dass Du ein Diakon in der Kirche bist, dass du ein guter Vater bist, ein guter Bürger, dass du eine angesehene Person bist. Ihr soziales Ansehen ist nicht auf dieselbe Weise übertragbar wie dasjenige der Elite – von uns. So gibt es diesen kulturellen Konflikt zwischen dem Kosmopolitischen und der Verwurzelung und dem Patriotismus. Die globalisierte Elite hat jeden Bezug auf Verwurzelung oder Patriotismus als unethischen Rassismus karikiert, und das ist zutiefst verletzend. Die radikale Rechte hat das angezapft und angeboten, Ehre und Würde der Mitte gegen die kulturellen Beleidigungen der professionellen Managerelite zu verteidigen.

Dreht sich der zentrale Klassenkonflikt, von dem Sie sprechen, um Einwanderung?

Der zentrale Konflikt drückt sich in Begriffen der Einwanderung, Debatten über Einwanderung aus, aber auch in anderen Formen. In den Vereinigten Staaten oder in Ungarn drückt er sich auch in der Begrifflichkeit der «traditionellen Familienwerte» aus.

All das wird sehr einleuchtend, wenn man mit der Mittelklasse redet, auf die Sie verweisen.

In Europa und in den Vereinigten Staaten hat man hat den zentralen Klassenkonflikt, der den Erfolg der radikalen Rechten antreibt,  nur sehr langsam anerkannt. Denn dies verlangt von den Wissensarbeitern, den Journalisten und den Politikformulierern, dass sie imstande sind, zwei Kulturen zu sehen, wenn ein kultureller Konflikt vorliegt. Die eine ist jene «der anderen». Die andere, «unsere», sehen sie nicht als Kultur, sondern als Realität.

Sie meinen, was die Trumpisten die «liberalen Medien» oder die «fake news» nennen. In Ihrem Buch zeigen sie, dass die meisten Journalisten in den USA Absolventen der Eliteuniversitäten sind, also zur kosmopolitischen Klasse angehören.

Den zentralen Klassenkonflikt anzuerkennen, von dem ich spreche, erfordert von ihnen, dass sie sich des sozialen Privilegs bewusstwerden, definieren zu können, was ein reales Problem ist.

Das gilt auch für die Politik, nicht wahr? Das Anti-Trump-Lager tut sich schwer mit der Tatsache, dass es diese zwei Realitäten gibt und mit dem Versuch, sie irgendwie zu überbrücken.

Richtig. Die radikale Rechte hat ausgefüllt, was Politologen die «Repräsentationslücke» nennen. Es gab eine Gruppe, die von keiner Mainstream-Partei vertreten wird, weder rechts noch links der Mitte. Das war eine Wählerschaft, die liberale, progressive Ansätze in der Wirtschaftspolitik und konservative in der Kulturpolitik will. Diese Gruppe war während Jahrzehnten von keiner Mainstream-Partei vertreten, bis die radikale Rechte auftrat und diese Prioritäten umsetzte.

Ein Trump-Anhänger in Georgia sagte mir kürzlich «Wir sind die Reformer und die Demokraten und die Republikaner im Kongress in Washington sind alle gegen uns».

Demokraten fragen oft «wie kann jemand für die Republikaner stimmen?», und dieser Mann drückt meine Botschaft an sie , eine sehr schmerzhafte Botschaft, perfekt aus. Trumps Wähler stimmen für ihn, weil sie spüren, dass weder die Republikaner noch die Demokraten sich für sie eingesetzt haben. Und sie haben recht. Früher haben über 90 Prozent der Amerikaner mehr verdient als ihre Eltern. Für diejenigen, die 1980 geboren wurden, liegen wir bei 50-50. Keine Partei hat ihnen etwas gebracht. Das macht die Elefantenkurve. Sie sind sehr wütend.

Was kann getan werden, ausser aufzugeben und der radikalen Rechten zu folgen, wie es die Republikanische Partei in den USA gemacht hat? Was sollte eine Alternative zum Trumpismus unternehmen? Wo wurden Fehler gemacht und wie können sie korrigiert werden?

Ich denke, es ist einfach. Der erste Schritt ist damit aufzuhören, ununterbrochen über die Verteidigung der Demokratie zu reden. Was wir kurzfristig brauchen, um die Demokratie zu verteidigen, ist sehr verschieden von dem, was wir langfristig brauchen. Auf kurze Frist brauchen wir alles, was die Demokraten tun, vor den Gerichten, auf der Strasse. Aber auf lange Frist müssen wir verstehen, dass hohe Ungleichheit mit tiefem gesellschaftlichem Vertrauen einhergeht. Wir haben sehr hohe Ungleichheit in den Vereinigten Staaten, und das hat das Vertrauen in unsere politischen Institutionen korrodiert. Über die Verteidigung des Status Quo zu reden, wenn die Leute zutreffenderweise finden, der Status Quo habe sie verarscht, ist das Rezept, um die radikale Rechte weiter anzufachen. Das ist der erste Schritt.

Welche weiteren Schritte?

Der zweite Schritt ist, die wirtschaftlichen Themen ins Zentrum zu stellen. Die wichtigsten Anliegen der Trump-Wähler 2024 waren die Inflation und die Wirtschaft. Es ist kristallklar, wer dem wirtschaftlichen Ressentiment Ausdruck geben wird, wenn die Linke es nicht tut. Nummer drei ist damit aufzuhören, auf eine Weise zu reden, die den Eindruck erweckt, dass die Studierten das einzig wichtige Publikum sind. US-Demokraten, und ich vermute die ähnlichen Parteien in Europa, sprechen im Stil der Studierten, artikuliert, wohlgemessen, in ausgefallener Sprache, in detaillierten Politikkonzepten. Ich meine, die EU-Bürokratie ist voll von idealistischen 20-Jährigen, die die Welt morgen perfekt machen wollen, ohne über die Auswirkungen auf den Bauern nachzudenken, der sich mit all den Regulierungen herumschlagen und sie erfüllen muss. In den USA nenne ich es den Rachel Maddow Stil

Die linke Fernseh-Präsentatorin von MSNBC…

Sehr kopflastig, «ich bin eine intelligente Person, die mit dir, einer anderen intelligenten Person, spricht». Für mich ist das ein angenehmer Stil, aber er sendet ungewollt das Signal aus, dass Studierte das einzige Publikum sind, das zählt. Herr Trump tut das nicht, ebensowenig Giorgia Meloni. «Trump überzuckert die Dinge nicht», sagte ein Trump-Wähler. «er spricht sehr konkret darüber, wie er unseren Alltag verbessern wird». So muss man mit Trump-Wählern reden.

Meinen Sie die «woke»-Mode, das politisch Überkorrekte?

Wenn es um jene Kulturkämpfe geht, muss die Linke einfach damit aufhören, vorgeführt zu werden. Das gleiche alte Muster, 40 Jahre lang. Ich bin jemand, der sich mit Gender, Rasse, Klasse befasst hat. Ich verstehe, warum wir ausgefallene Sprache wie «Latinx» verwenden. Ich verstehe, weshalb wir diese kulturkämpferischen Themen vertreten, welche die höchsten Werte der professionellen Managerelite ausdrücken. Aber wir tun den Trans-Kids keinen Gefallen, wenn wir sie in den Mittelpunkt rücken und der radikalen Rechten damit eine geladene Pistole in die Hand geben. Noch und noch geben wir der radikalen Rechten geladene Pistolen in die Hand. Ich frage mich, wer hier eigentlich die Intellektuellen sind.

In Ihrem Buch sagen sie, man dürfe die anti-elitäre Rhetorik nicht der radikalen Rechten überlassen. Ich erinnere mich an Jerry Brown, der in den neunziger Jahren  gegen das NAFTA-Freihandelsabkommen auftrat, oder an Senator Sanders’ Filibuster gegen das Obama-Budget. Sie sagten eine Menge Dinge, die Trump sagt. Die Mainstream-Linke von heute tut das nicht.

Ich denke, heute sind sie dazu bereit.

Frau Harris, die Präsidentschaftskandidatin, tat es nicht.

Nein. Es gibt zurzeit einen grossen Kampf. Auf einer Seite stehen die Geldgeber, die immer noch mit dem libertären Modell von freiem Handel, weniger staatlicher Regulation, Anti-Gewerkschaften, Freiheit im sexuellen Privatleben verheiratet sind. Wenn sie dort verharren, geben die der Opposition eine weitere geladene Pistole in die Hand, und wir haben gesehen, was die Opposition damit anstellt. Wer denkt, dass wir zurzeit ein tolles Wirtschaftsklima haben, soll nichts ändern.

Wer artikuliert die andere Seite?

Die anti-oligarchy tour…

…die Auftritte von Senator Bernard Sanders und der Abgeordneten Ocasio-Cortez im vergangenen Frühjahr …

Leute wie Zoran Mamdani…

Der sozialistische Kandidat der Demokratischen Partei für die New Yorker Bürgermeisterwahl…

Progressive und Gemässigte. Leute wie  die Abgeordneten Marie Gluesenkamp Perez aus Washington oder Greg Casar aus Texas. Die Demokratische Partei hat ein grosses Kader auf der  Spielerbank und viele Talente, die wissen, wie man es macht. Die Formel sind die vier Schritte. Erstens Aufhören mit dem Gerede über die Verteidigung der Demokratie. Zweitens ein stabiles Mittelklasseleben im Mittelpunkt – harte Arbeit soll ein stabiles Mittelklasseleben ermöglichen. Drittens ungestelzte, simple direkte Sprache – konkret erklären, wie du den Alltag der Leute verbesserst. Und viertens, verhalte dich in den Kulturkämpfen nicht dumm. Höre auf, der Rechten in die Hand zu spielen, wenn es um Kulturkämpfe geht.

Sprache, Streit um Gendersprache und dergleichen, ist in der Schweiz auch eine grosse Sache. Die Eliten, was Sie die professionelle Mangerklasse nennen, finden es grossartig und der Rest der Bevölkerung ist genervt. Sollten wir einfach aufhören, so zu sprechen?

Ich denke nicht. Sie sprechen hier mit einer Gender-Person, die mitgeholfen hat, einiges davon zu erfinden. Meine Antwort ist etwas komplexer. Im US-Wahlkampf stand auf einem Trump-Plakat «Kamala kümmert sich um they und them – Trump kümmert sich um uns». Das hat sicherlich transphobe Leute angesprochen, aber wahrscheinlich auch eine viel grössere Zahl Personen, die sich ärgerten, dass die beiden Themen, die ihnen am wichtigsten waren, nicht im Zentrum der Wahlkampagne der Demokraten standen. Dies gesagt, denke ich, es wäre etwas zu einfach, alles über Bord zu werfen. Warum versuchen wir nicht – zum einen – über die wirtschaftlichen Anliegen zu reden, die die Leute bewegen? Und zum andern müssen wir verstehen, in welchem Wasser wir schwimmen. Kulturprogressive wie ich selbst müssen verstehen, dass das Vokabular, das wir erfinden, um die Verschleierung von Machtgefällen durch die gewohnte Sprache aufzuheben, unterschiedlich gehört wird. Wir hören bewundernswerten Idealismus. Aber Leute, die nicht studiert haben, hören Überheblichkeit von Eliten. Wir müssen die Klassendynamik verstehen, oder wir schaden denjenigen, um die wir uns kümmern wollen.

Also sprechen Sie zu unterschiedlichen Klassen von Menschen in unterschiedlicher Sprache?

Soziale Neuerer, die versuchen, die Dinge zu ändern, werden immer anders reden, sie müssen es. Ein US-Kommentator nannte es das Fakultätsstubengerede. Aber darauf zu bestehen, dass Politiker, die Wahlen gewinnen müssen, auch so sprechen, das muss sich ändern. Denn dieses Beharren spielt nur der radikalen Rechten in die Karten spielt und macht die Gruppen, für die sich etwas ändern soll, weiter zu Opfern.

In Ihrem Buch weisen sie auf die Homo-Ehe als Erfolgsmodell für gesellschaftliche Veränderung.

Die Homo-Ehe-Bewegung musste ihre Botschaft und ihre Sprache ändern, und dafür musste sie ihre Prioritäten ändern, um die moralische Haltung der gewöhnlichen Leute zu erreichen. Die Schwulenbefreiungsbewegung  drehte sich um sexuelle Befreiung und die rechtliche Anerkennung eines breiten Spektrums von Beziehungen. Die dachten, die Ehe sei vorbei und uninteressant. Für mein Buch habe ich mit einem der Anführer der Bewegung gesprochen, die die Homo-Ehe durchgesetzt hat. Er sagte mir, «seine Leute», die normalen Leute, nicht Ärzte und Anwälte, hätten die Ehe gewollt. Die Bewegung liess die LGBTQ-Anliegen nicht im Stich, aber sie realisierte, dass sie  die moralischen Reflexe der gewöhnlichen Leute erreichen und in der Sprache derjenigen reden musste, die sie überzeugen wollte. Die Homo-Ehe-Bewegung zeigt, dass man überwältigende Erfolge erreichen kann, wenn man so vorgeht. Durch den Kampf für die gleichgeschlechtliche Ehe war die LGBTQ-Bewegung viel effektiver bei der Entstigmatisierung von gay sex.

Glauben Sie, dass dieser Ansatz auf andere gesellschaftliche Themen angewandt werden kann?

Ja. Es sind eigentlich zwei Schritte. Der erste ist zu fragen:  «Seid ihr von trans kids wirklich dermassen betroffen? Geht es Euch nicht eher um harte Arbeit, die eine stabile Mittelklasseexistenz sichert?» Und dann das Thema zu finden, das der LGBTQ-Bewegung hilft, weiterzukommen – der zweite Schritt, der die moralische Intuition der Alltagsmenschen erreichet. Das ist das Modell.

Sie haben über die Europäische Union als Bestandteil der globalen, kosmopolitischen Kultur gesprochen. Die Schweiz ist kein Mitglied, aber die EU ist unser grösster Markt. Wir sind auf diesen Zugang angewiesen, und wir stehen vor der Abstimmung über einen weiteren Strauss von Verträgen, die ihn absichert, einer davon macht die Einwanderung leichter. Unsere Debatte wird entlang derselben Linien verlaufen, die Sie zeichnen. Die globalisierte Elite gegen die verwurzelten, patriotischen Schweizer, und Einwanderung wird im Zentrum stehen. Wie würden Sie als Schweizerin argumentieren?

Erstens würde ich die Leute, die gegen Einwanderung sind, nicht Rassisten oder ähnliches nennen. Wer das tut, hat die Partie schon verloren. Zweitens würde ich auf die sehr tiefe Geburtenrate verweisen. Sie bedeutet, dass weniger junge Menschen sehr hart arbeiten müssen, um eine Menge alter Leute zu unterstützen. Der einzige Weg, das zu vermeiden, liegt darin, Einwanderer ins Land zu lassen, damit unsere Alten in Würde altern können, für unsere Grossmütter gesorgt ist und unsere Kaffees serviert werden. Diese Einwanderer sind gewöhnliche, arbeitende Leute, die genau dasselbe wollen, was die gewöhnlichen Schweizer Mittelklassemenschen wollen. Sie wollen hart arbeiten, um ein gesichertes Leben für ihre Familien zu erreichen. Glaube, Familie, Stabilität – daran glauben die.

Die zweite Generation ist in mancher Hinsicht erfolgreicher als der Durchschnitt.

Sie fragen mich, was ich als Schweizerin sagen würde. Ich würde das nicht sagen, denn es macht die Menschen im Publikum zu Verlierern. In den USA verbinden wir die Einwanderung mit dem kleinen Gewerbe. Viele Arbeiter in der Mittelklasse träumen davon, aus Befehlsempfängern zu Befehlserteilern zu werden, indem sie ein kleines Gewerbe besitzen. Doch wen werden sie anstellen? Sie brauchen Tellerwäscher, Büropersonal. Das heisst, wenn dir das Gewerbe am Herzen liegt, brauchst du Einwanderer.

Würden Sie zwischen legaler und illegaler Einwanderung differenzieren? Die Trump-Regierung verteidigt ihre Deportationen mit dem Argument, das sei gegen Kriminelle und Gesetzesbrecher gerichtet.

In Tat und Wahrheit lässt Trump Leute festnehmen und ausweisen, die während Jahrzehnten gearbeitet haben. Leute, die solide Mittelklasseexistenzen gelebt haben. Und wenn Trump gewöhnliche, hart arbeitende Leuten festnimmt, ändern sich die Haltungen zur Einwanderung. Einigen Erhebungen zufolge ist seine Unterstützung im Bereich Einwanderung innerhalb von sechs Monaten um 10 Prozentpunkte gefallen.

Soll das Recht eines Kriminellen, im Land zu bleiben, verteidigt werden?

Wenn die Linke Einwanderer mit Strafregistern verteidigt, dann tut es mir leid. Das wird allen Einwanderern schaden und die radikale Rechte anfachen. Ein Charakteristikum der Mittelklasse ist, dass sie Regeln befolgt. Das erfordert der Job und ist, wozu ihre Kultur sie erzieht. Es kommt nicht gut heraus, wenn Sie einem Gesetzestreuen sagen «ich verteidige Gesetzesbrecher, und wenn du nicht mit mir einverstanden bist, dann bist du ein Rassist».

 

 

 

 

 

#Migration

Joan Williams

Joan Williams ist eine US-Juristin (University of California college of the law, San Francisco) mit einer langen Publikationsliste zu Fragen der sozialen Schichtung und den “diversity, equality and integration” (DEI) Ansätzen, welche die Trump-Regierung derzeit aus dem Weg schafft. Ihr jüngstes Buch heisst Outclassed: How the Left Lost the Working Class and How to Win Them Back. St. Martin’s Press, (2025).

Das Interview wurde auf Englisch geführt (siehe link).

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