Veranstaltungsberichte

Harmonie über den europapolitischen «Wald»

An einer SGA-Veranstaltung über die Bilateralen III in Freiburg standen für einmal nicht die wirtschafts- und migrationspolitischen Aspekte der neuen EU-Verträge im Vordergrund, sondern die allgemeineren Perspektiven in der gegenwärtigen Welt. Staatssekretär Alexandre Fasel betonte die Kontinuität der Europapolitik des Bundesrats. Mitglieder des kantonalen Parlaments befürworteten das Vertragspaket.

Zum ersten Mal seit langem oder überhaupt hat die SGA eine Veranstaltung in Freiburg durchgeführt und dabei die europapolitische Diskussion auf die kantonale Ebene erweitert. Der Fokus des Anlasses unter Leitung von Gilbert Casasus, SGA-Vorstandsmitglied und emeritiertem Professor für Europastudien in Freiburg, war indessen keineswegs regional. Schon bei der Begrüssung blickte Rudolf Wyder, Vizepräsident der Gesellschaft, auf den internationalen Kontext des Entscheids, den die Schweiz zu fällen hat. Er zitierte aus der Vernehmlassung der SGA zu den Bilateralen III, wo auf die aktuelle Gefährdung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit hingewiesen wird. Die EU trete diesen Bedrohungen entgegen und leiste damit auch einen Beitrag an die Unabhängigkeit, Sicherheit und Freiheit der Schweiz, die sich einen Ausschluss aus den kontinentalen Bestrebungen nicht leisten könnte.

Absicherung gegen Vereinnahmung

In der schweizerischen Debatte bestehe die Gefahr, vor lauter Bäumen den Wald nicht zu sehen, sagte Alexandre Fasel, Staatssekretär im Aussendepartement. In seinem Referat zog er die grosse Linie nach, welcher der Bundesrat seit den Anfängen der europäischen Integration folgt mit dem Ziel, die Abkoppelung der Schweiz von ihrem «eigentlichen Heimmarkt» zu verhindern. Der Weg führte über die EFTA, das Freihandelsabkommen mit der damaligen EWG und den am Volk gescheiterten Anlauf zum EWR schliesslich zur bilateralen und sektoriellen Beteiligung am EU-Binnenmarkt. Die Freiheit, mit anderen Weltregionen Handels- und Vertragsbeziehungen zu pflegen, bleibt dabei bestehen.

Heute spricht der Bundesrat zudem von einer «strategischen Notwendigkeit» eines gut geregelten Verhältnisses zur EU. Die Welt sei weniger globalisiert, weniger westlich und weniger demokratisch, mithin fragmentiert und gefährlicher geworden. Fasel wies auf die Mächte hin, die in ihren Einflusssphären totale Autorität beanspruchten und die übrigen Staaten zu beeinflussen oder zu vereinnahmen suchten. Um in dieser Lage ihren Freiraum zu bewahren, brauche die Schweiz stabile Beziehungen zu ihrem Umfeld.

Kein anderer Bilateralismus

Fasel erinnerte dann an die Vorgeschichte des jetzigen Vertragspakets, namentlich an die ersten, vom Bundesrat abgebrochenen Verhandlungen, bei denen die beiden Seiten «nicht im gleichen Film» gewesen seien. Mit neuen Ansätzen gelangte man letztes Jahr zur Einigung. Gleichzeitig wurden neue Abkommen in den Bereichen Strom, Gesundheit und Lebensmittelsicherheit ausgehandelt. Die vorgesehene dynamische Übernahme von neuem EU-Recht gefährde die direkte Demokratie nicht, hielt Fasel fest, und es werde anders als im EWR keine spezielle Überwachungsbehörde geben.

Man könne gut andere Vorstellungen haben, sagte der höchste EDA-Diplomat: eine engere Integration und den EU-Beitritt oder aber eine lockerere Form wie im Fall Grossbritanniens oder Kanadas. Neue Freihandelsabkommen schliesse die EU aber nur unter Einbezug der Landwirtschaft ab. Unmöglich wäre es, auf dem bilateralen Weg ohne die ausgehandelten institutionellen Elemente weiter voranzukommen. Die EU würde dann die Aktualisierung der Regeln, zusätzliche Abkommen und die volle Beteiligung an Kooperationsprogrammen weiterhin ablehnen. Weil das jetzige Paket, anders als 1992 der EWR-Vertrag, nicht mit dem Thema EU-Beitritt «kontaminiert» sei, blickt Fasel der Abstimmung gelassen entgegen.

Leicht ausgebaute Partizipation            

In der anschliessenden Diskussion unter Mitgliedern des Freiburger Grossen Rats war die Befürwortung der Bilateralen III eine Selbstverständlichkeit. Bernhard Altermatt (Mitte), Catherine Esseiva (GLP), Liliane Galley (Grünes Bündnis) Alizée Rey (SP) und Antoinette de Weck (FDP) schienen generell eine unverkrampfte Sicht auf die Europäische Union zu haben. (Die SVP hatte nicht zur Teilnahme bewegt werden können, wobei die Übungsanlage – 5:1 – wenig attraktiv gewesen sein dürfte.) Argumente in dem Sinn, dass über die vielen Bäume hinaus der Wald zu sehen sei,  lauteten etwa, ohne Europa wäre die Schweiz wenig, die Union sei eine verlässliche Partnerin (im Kontrast zu den USA unter Trump), sie vertrete die gleichen Werte wie die Schweiz und die Verträge ermöglichten eine Weiterentwicklung der Beziehungen auf Gebieten von gemeinsamem Interesse.

Hervorgehoben wurde sodann die vereinbarte konsultative Mitwirkung bei der einschlägigen Rechtsetzung der EU. Hinzu kommt die Einrichtung eines regelmässigen politischen Dialogs zwischen Brüssel und Bern nicht nur auf der Ebene der Exekutiven, sondern auch der Parlamente. Einem Nichtmitglied sind allerdings Grenzen gesetzt. Altermatt nannte es paradox, dass die Schweiz für das Gefühl der Souveränität auf gleichberechtigte Mitbestimmung in der EU verzichte. Die Vertreterinnen von FDP und SP bedauerten ihrerseits die mangelnde Bereitschaft, sich einzubringen und Verantwortung mitzutragen.

Strom, Sicherheit, Souveränität

Was die materiellen Inhalte betrifft, wurden unterschiedliche Akzente gesetzt. Für de Weck ist die Regelung der Elektrizitätsflüsse über die Grenze von besonderer Bedeutung; es sei auch mit günstigen Wirkungen auf die Preise zu rechnen. Die beiden liberalen Votantinnen verwiesen ferner auf die schlechten Erfahrungen mit der Rückstufung in der Forschungskooperation, die nun schon in einer Übergangsphase wieder mit gleichen Rechten möglich wird. Bezüglich der Personenfreizügigkeit zeigte sich Rey mit den Vorkehren zum Lohnschutz zufrieden, auch wenn es sich um ein Minimum handle. Eine der 14 vorgeschlagenen flankierenden Massnahmen, der Kündigungsschutz für Vertreter von Arbeitnehmern, ist noch umstritten.

Die Sicherheit, die mit der «strategischen Notwendigkeit» mitangesprochen wird, ist kein Thema der Bilateralen. Staatssekretär Fasel erläuterte, dass sie Gegenstand des vereinbarten politischen Dialogs sein dürfte, und verwies auf eine gemeinsame Erklärung zur betreffenden Kooperation. Zudem möchte der Bundesrat Gespräche über eine Beteiligung an der neuen Sicherheits- und Verteidigungspartnerschaft aufnehmen. Dabei gehe es um «harte» Sicherheit, so dass sich die strikten Vorschriften der Schweiz über den Kriegsmaterialexport und -reexport als Problem erweisen würden.

Im Vordergrund stehen nun die ausgehandelten Verträge. In der Debatte wird die Frage eines Souveränitätsverlusts wichtig sein, die ein Zuhörer in Erinnerung rief und Fasel etwas rasch abtat. Ebenso werden die Befürworter – dessen zeigten sich die Politikerinnen und der Politiker bewusst – auf einzelne konkrete Bestimmungen und deren Folgen eingehen, also die «Bäume» im Auge behalten müssen.

 

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