Interview

Europäische Wortmeldung des Nationalrats

Mit 115 zu 66 Stimmen hat der Nationalrat am 6. März 2025 eine Entschliessung «für eine eigenständige europäische Sicherheitspolitik und eine aktive Rolle der Schweiz» verabschiedet. Ko-Autor Fabian Molina (SP/Zürich) : «Für die Schweiz gibt es keine andere Wahl als sich zu beteiligen».

Herr Molina, warum diese Entschliessung jetzt?

Wir stehen an einem Wendepunkt der Nachkriegsgeschichte. Die zwei grossen Lehren Europas aus dem Weltkrieg sind in in Frage gestellt. Das sind die kollektive Sicherheit und das amerikanische Bündnisversprechen in der Nato. Europa muss souveräner werden, die Verantwortung für sich selbst in die eigene Hand nehmen. Für die Schweiz gibt es keine andere Wahl, als sich da zu beteiligen».

Die Aussage des Nationalrats steht allein. Sie ist in keiner Weise bindend. Der Bundesrat schweigt. Haben Sie von der Regierung irgendeine eine Reaktion erhalten?

Es kommt sich drauf an, mit wem man redet. Das Problem ist, dass der Bundesrat gespalten ist. Die Mehrheit will sich nicht dazu äussern, wo die Zukunft der Schweiz liegen soll. Bundespräsidentin Keller-Suter hat erklärt, die Schweiz müsse sich zwischen den Blöcken positionieren.

Wie soll es weiter gehen?

Der wichtigste Baustein liegt auf dem Tisch. Das ist das neue Abkommen mit der EU, das schneller zur Abstimmung gebracht werden muss als vom Bundesrat geplant. Damit wird der Grundstein für eine Vertiefung der Beziehung gelegt. Parallel dazu wird auch zu entscheiden sein, wie die Schweiz sich gegenüber den britisch-französischen Bemühungen um eine europäische Verteidigung verhalten soll.

Der Wortlaut

Die von den Nationalräten Molina (SP, Zürich) und Fabien Fivaz (ingereichte Entschliessung lautet folgendermassen:
«Der Nationalrat ist überzeugt, dass ein stabiles, regelbasiertes und souveränes Europa notwendig ist, um Frieden, Sicherheit, Demokratie und Menschenrechte auf dem Kontinent zu gewährleisten;
bekräftigt, dass die Staaten des Kontinentes ihre Sicherheitsverantwortung eigenständig übernehmen müssen;
unterstreicht, dass die Schweiz im Rahmen ihrer neutralitätsrechtlichen Verpflichtungen zur europäischen Sicherheitskooperation beitragen kann;
gestützt auf Artikel 32 seines Geschäftsreglements (GRN; SR 171.13):
a. betont, dass die Bedrohungen der Sicherheit Europas, insbesondere durch den andauernden Krieg in der Ukraine, eine gemeinsame europäische Antwort erfordern;
b. unterstreicht die historische Bedeutung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und des Europarats zur Wahrung von Frieden, Sicherheit, Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechten in Europa und anerkennt ihre wichtige Rolle zur Lösung der aktuellen geopolitischen Herausforderungen;
c. begrüsst die Bestrebungen der europäischen Staaten, eine stärkere und eigenständige Sicherheitspolitik zu entwickeln;
d. bekräftigt, dass die Schweiz als integraler Bestandteil Europas eine konstruktive sicherheitspolitische Rolle im Rahmen der eigenen völkerrechtlichen Verpflichtungen übernehmen kann;
e. fordert den Bundesrat auf, die Rolle der Schweiz als Teil der europäischen Sicherheitsarchitektur zu stärken und die Zusammenarbeit mit Partnerländern und internationalen Organisationen insbesondere in Bereichen wie Cybersicherheit, Katastrophenschutz und Friedensförderung zu intensivieren;
f. ruft den Bundesrat dazu auf, seine diplomatischen Bemühungen zu intensivieren, um die Stabilität in Europa zu sichern und Dialogformate für die europäische Sicherheitsordnung zu unterstützen;
g. empfiehlt dem Bundesrat, weitere Möglichkeiten zur sicherheitspolitischen Kooperation mit der EU zu prüfen, insbesondere im Rahmen der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (PESCO) und der Europäischen
Verteidigungsagentur;
h. fordert den Bundesrat auf, entsprechende Massnahmen zu prüfen und konkrete Schritte zur sicherheitspolitischen Zusammenarbeit mit Europa vorzulegen.»

Die Entschliessung wurde mit 115 gegen 66 Stimmen bei drei Enthaltungen (je ein Ratsmitglied der Mitte, des Freisinns und der Grünliberalen) angenommen. 13 Ratsmitglieder blieben der Abstimmung fern, darunter der Mitte-Bundesratskandidat Ritter. Die Gegenstimmen kamen sämtliche aus der SVP, bis auf zwei aus dem Freisinn (Michel/Solothurn und Wasserfallen/Bern) und jene des Grünliberalen Bäumle.

#Europa #Schweizer Aussenpolitik #Sicherheit

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