2026 wird die Schweiz erneut den Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) führen. Ein Ziel ist, diesem einzigartigen Forum die Funktionsfähigkeit zu sichern, die heute stark infrage gestellt ist. An einer von der SGA/ASPE mitorganisierten Veranstaltung in Bern ist hervorgehoben worden, dass der Einbezug der Zivilgesellschaft dabei entscheidend sein werde.
Dass der Schweiz als erstem der 57 Mitgliedstaaten bereits zum dritten Mal (nach 1996 und 2014) der Vorsitz der OSZE übertragen wird, ist ein Zeichen der Krise. In der gespannten Situation, die Russlands Krieg gegen die Ukraine geschaffen hat, waren andere Kandidaturen nicht konsensfähig. 50 Jahre, nachdem in Helsinki die Schlussakte der damaligen Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) verabschiedet worden ist, fragt sich, ob die Organisation noch mehr sei als ein «Denkmal einer vergangenen Ära», in der sie für die Unverletzlichkeit der Grenzen, wirtschaftliche Kooperation sowie Menschenrechte und Demokratie als gemeinsame Prinzipien stand. Markus Mugglin, Mitglied des SGA-Vorstands, führte mit dieser Frage als Moderator ein in eine Veranstaltung der Schweizerischen Helsinki-Vereinigung und der Schweizerischen Gesellschaft für Aussenpolitik (SGA) an der Universität Bern. Referentinnen und Referenten trugen Erwartungen an das kommende Engagement der Schweiz vor, und dabei rückte ein Aspekt der Arbeitsweise der OSZE ins Zentrum.
Die OSZE sei geradezu sinnbildlich für die Kooperation der Staaten mit Akteuren der Zivilgesellschaft, sagte Laurent Goetschel, Direktor des Friedensforschungsinstituts Swisspeace in Basel. In der verfahrenen Lage während des Kalten Kriegs konnten gerade über heikle Themen wie die Menschenrechte auf einer zweiten, eher informellen Ebene Kontakte gepflegt und Vertrauen gebildet werden. Nichtstaatliche Kräfte waren auch unentbehrlich, als es später um Friedensförderung in innerstaatlichen Konflikten ging. Die Schweiz spielte schon in der KSZE eine wichtige Rolle, wie Goetschel in Erinnerung rief, und baute danach ihre Friedensförderung aus, gestützt nicht einfach auf ihre Neutralität, sondern vor allem auch auf die Glaubwürdigkeit, die ihr Traditionen wie das Milizprinzip und die Vitalität zahlloser nichtstaatlicher Organisationen verliehen. Als Vorsitzland für 2026 sollte sie sich auf die Grundprinzipien der OSZE besinnen, namentlich auf die gemeinsamen Werte, die von der Zivilgesellschaft artikuliert würden, und Raum für einen strukturierten Austausch schaffen.
Der Bundesrat hat für das kommende OSZE-Jahr fünf Prioritäten festgelegt und von den Aussenpolitischen Kommissionen (APK) des Parlaments gutheissen lassen. Laurent Wehrli, FDP-Nationalrat, Präsident der APK und Vizepräsident der SGA, nannte die Stichworte: Beachtung der Helsinki-Prinzipien für einen dauerhaften Frieden (mit Freiheit als innerstaatlicher Entsprechung), inklusiver (nicht zuletzt Russland einbeziehender) Dialog, Vorausschau auf Technologien mit Relevanz für eine sichere und humane Zukunft, Förderung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten sowie Stärkung der Handlungsfähigkeit der OSZE. Zwar sei der Spielraum gegenwärtig sehr eingeschränkt, doch biete die Organisation – mit Mitgliedern von Nordamerika bis Zentralasien – eine einzigartige Plattform des Dialogs, gerade auch für Russland und die Ukraine. Die Schweiz, betonte Wehrli, sollte ein wenig stolz sein auf das Mandat, dem auch Moskau nicht opponierte, und trotz den Risiken versuchen, einen Beitrag zur Stabilität und Sicherheit in Europa zu leisten.
Die Rolle der Zivilgesellschaft wird in den Prioritäten des Bundesrats nicht explizit erwähnt. Lisa Salza von Amnesty International Schweiz begründete, wieso gerade angesichts der internationalen Verhärtung Bürgerorganisationen angehört und beteiligt werden müssten, und zwar in allen Aktivitätsbereichen der OSZE und bei allen Zielen der Schweiz. Die Nähe zur Bevölkerung erlaube es, Brücken zu den Menschen zu schlagen, deren Bedürfnisse – sei es in kriegsbedingter Not oder bezüglich neuer Technologien – zu erfassen, aber auch Spannungen zu erkennen, die zu Konflikten führen könnten. Manche Akteure verfügten über spezifisches Know-how auch etwa in Bereichen wie Cyber-Sicherheit oder KI. Dass unabhängige Organisationen in etlichen Staaten zunehmend eingeschränkt oder unterdrückt werden, ist für die Amnesty-Vertreterin offenbar ein Teufelskreis der Repression, der sich durchbrechen lässt; sie forderte, gerade auch solchen Stimmen einen Raum zu geben.
Als Vorbild und Wegbereiter nannte Lisa Salza den gegenwärtigen finnischen OSZE-Vorsitz. Die Leiterin der NGO Demo Finland, Anu Juvonen, fungiert als Sondervertreterin des Präsidiums für die Zivilgesellschaft (eine Stelle, die es erst zum dritten Mal gibt). Wie sie an der Veranstaltung ausführte, stellte sie eine Reihe von Empfehlungen an die Ministerkonferenz zusammen, wonach die Partizipation systematischer gewährleistet werden sollte. Zu den Anliegen gehören beispielsweise eine Mitwirkung beim Kurs, der policy , der Organisation und die Begleitung der Umsetzung von Beschlüssen, ausserdem die Förderung der Diversität und der Schutz der Zivilbevölkerung vor Repressalien. Auf die Frage, inwiefern die OSZE nach wie vor von konkretem Nutzen sei, erwähnte Juvonen die Missionen zur Wahlbeobachtung und die Tätigkeit des Büros für Demokratie und Menschenrechte (ODIHR) generell.
Zu den wiederholt erhobenen – und kaum mit praktischen Beispielen illustrierten – Forderungen gab Laurent Wehrli etwas Gegensteuer, indem er auf die Verantwortung der Regierungen und die Uneinheitlichkeit «der» Zivilgesellschaft hinwies. Auch die gewählten Parlamentarier, die übrigens Kollegen in eine eigene Versammlung der OSZE entsenden, stünden im Dialog mit der Bevölkerung. Muriel Peneveyre, die im EDA die Task Force für das Vorsitzjahr leitet, war im Publikum anwesend und versicherte, man werde selbstverständlich mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten, sowohl in der Schweiz, wo nun regelmässige Treffen stattfinden sollen, als auch bei der Tätigkeit der OSZE. Dass diese fortbestehen und eine Rolle spielen soll, sei klares Ziel der Aussenpolitik.
Kurz und kräftig. Die wöchentliche Dosis Aussenpolitik von foraus, der SGA und Caritas. Heute steht Kolumbien im Fokus. Guerillagewalt, Millionen Geflüchtete aus Venezuela und der Kollaps der Darién-Route machen das Land zum Brennpunkt der lateinamerikanischen Migrationskrise. Nr. 486 | 23.09.2025
Neue Beiträge von Joëlle Kuntz (La neutralité, le monument aux Suisses jamais morts) und Markus Mugglin (Schweiz – Europäische Union: Eine Chronologie der Verhandlungen) sowie von Martin Dahinden und Peter Hug (Sicherheitspolitik der Schweiz neu denken - aber wie?) Livre (F), Book (E), Buch (D)
Zu den BeiträgenDas Schweizer Mandat im UNO-Sicherheitsrat (2023 und 2024) fiel in turbulente Zeiten, der Rat hatte Schwierigkeiten, in den grossen Fragen Entscheide zu fällen. Jeden Samstag haben wir das Ratsgeschehen und die Haltung der Schweiz zusammengefasst.
Infoletter abonnieren