Das diesjährige Aktionsforum der Fastenaktion stand unter dem Motto: „Mit Macht umgehen: ermächtigen, begrenzen, abgeben“. Zur Eröffnung sprach alt Nationalrätin Dr. Lucrezia Meier-Schatz über den Umgang mit Macht in der internationalen Zusammenarbeit der Schweiz. Nachstehend ihre Rede in gekürzter Fassung.
Der Begriff Macht kann sehr unterschiedlich ausgelegt werden. Philosophen haben ihn seit der griechischen Antike immer wieder neu definiert und interpretiert. Aber statt auf diese philosophische Entwicklung einzugehen, fragen wir uns, wie wir als entwicklungspolitische Organisation mit christlichem Fundament Macht begreifen sollten. Wir haben uns für drei zentrale Begriffe entschieden: Ermächtigung, Begrenzung und Machtabgabe. Was auf den ersten Blick klar erscheint, ist in der Praxis oft schwierig – selbst wenn wir uns fest vornehmen, unseren Partnern in allen Regionen auf Augenhöhe zu begegnen. Dieser wichtige Grundsatz ist in der Vision und Strategie verankert, die der Stiftungsrat von Fastenaktion im Mai 2024 verabschiedet hat. Respekt, Würde und Vertrauen leiten unser Handeln.
Dem Begriff Macht begegnen wir auch in der staatlichen Entwicklungspolitik, die oft – auch heute noch – von der Arroganz der Geberländer geprägt ist. Zwar haben die Geberländer den Begriff Entwicklungshilfe durch Entwicklungszusammenarbeit ersetzt, aber nach wie vor setzen sie die Prioritäten. So leider auch gegenwärtig die Schweiz. Die Folgen der globalen Phänomene wie Klimawandel, Pandemien, Terrorismus, Bürgerkriege wirken – wie auch der gegenwärtige Krieg in der Ukraine – grenzüberschreitend. Das scheint die reiche Schweiz mit ihrer Fokussierung auf die zwar sehr berechtigte Hilfe für die Ukraine und die unverständliche und kurzsichtige Kürzung der Gelder für die Entwicklungszusammenarbeit zu vergessen.
Wir müssen unsere Stimme erheben, wir dürfen nicht schweigen, auch wenn die NZZ unseren Aufschrei als „Geheul“ abtut. Die beschlossenen Kürzungen bei der internationalen Zusammenarbeit sind nicht zielführend, sie gefährden wertvolle Partnerschaften, auch jene, die wir mit unseren Partnerorganisationen eingegangen sind.
Und nun schlägt der Bundesrat für die Jahre 2025 bis 2028 weitere substanzielle Kürzungen zulasten der Ärmsten vor, damit die Versprechen für den Wiederaufbau in der Ukraine eingelöst werden können. Die reiche Schweiz – respektive der Bundesrat und mit ihm einen Teil des Parlaments – scheint zu ignorieren, dass internationale Zusammenarbeit der Grundstein für eine nachhaltige Sicherheitspolitik ist – wie dies nota bene auch im sicherheitspolitischen Bericht des Bundesrates festgehalten wurde.
Es geht heute und in Zukunft nicht nur um Armutsbekämpfung, sondern um viel mehr. Der Wille autokratischer Herrscher, eine multipolare Weltordnung etablieren zu wollen, gefährdet nicht nur die international anerkannten Grundwerte, sondern ganz direkt die Menschenrechte und die Zivilgesellschaft. Diese sind zunehmend unter Druck. Und wir, als reiches Land, erhöhen noch den Druck, als ob wir die vorhandenen Systemrisiken ignorieren wollten.
Die geplanten Kürzungen der Investitionen in der internationalen Zusammenarbeit, auch jene für die Zivilgesellschaft beziehungsweise für die NGOs, sind alles andere als zielführend. Sie rauben den Menschen vor Ort die Zuversicht auf ein besseres Leben, auf Autonomie und Würde. Die globale Erwärmung sorgt in einer steigenden Zahl von Ländern für zunehmende Wasser- und Nahrungsmittelknappheit, sie führt zu extremen Wetterereignissen und zu mehr Krankheiten. Es geht um weit mehr als die Bekämpfung von Armut und Hunger, es geht schliesslich um Stabilität und um die Lebensgrundlage menschlicher Zivilisation.
Die Kurzsichtigkeit der Kürzungsvorschläge des Bundesrates haben vielfältige und schwerwiegende Folgen. Sie führen – wenn Entwicklungsprojekte, die darauf abzielen Armut und Hunger zu reduzieren, nicht weiterverfolgt werden können – zu einer Verschlechterung der Lebensbedingungen der örtlichen Zivilgesellschaft. Sie gefährden weiter die getätigten Investitionen in Bildung und Infrastruktur, sie führen zu politischer und sozialer Instabilität, denn in vielen Ländern hängen Frieden und Stabilität auch von der wirtschaftlichen Entwicklung ab. Sie erhöhen schliesslich auch den Migrationsdruck.
Die geplanten Kürzungen der Gelder für die internationale Entwicklungszusammenarbeit verschärfen die globalen Ungleichheiten, tragen zu einer Verlangsamung des Fortschritts bei den UN-Nachhaltigkeitszielen bei und führen schliesslich zu einer Destabilisierung in besonders anfälligen Regionen.
Das ist der Grund, weshalb ich heute – gemeinsam mit allen Akteuren in der Entwicklungszusammenarbeit und der Kirchen – einen Appell an euch richte: wendet euch an eure Volksvertreter und -vertreterinnen, setzt euch ein, damit die geplanten Kürzungen vom Parlament abgelehnt werden, erinnert eure Volks- und Ständevertreter:innen, daran, dass das Parlament 2011 eine Zielvorgabe für die Entwicklungszusammenarbeit von 0.5% des Bruttonationaleinkommens formulierte und die Schweiz im Rahmen der Agenda 2030 der UNO sich auf 0.7 Prozent festlegte. Mit den geplanten Kürzungen erreichen wir nicht einmal die 0.5%.
Setzt euch ein, damit unser reiches Land weiterhin einen Beitrag zur internationalen Stabilität leistet. Das ist im unmittelbaren Interesse der Schweiz.
Dr. Lucrezia Meier-Schatz ist Präsidentin des Stiftungsforums Fastenaktion. Von 1999 bis 2015 gehörte sie dem Nationalrat als Vertreterin der CVP (heute Die Mitte) des Kantons St. Gallen an.
Kurz und kräftig. Die wöchentliche Dosis Aussenpolitik von foraus, der SGA und Caritas. Heute steht Kolumbien im Fokus. Guerillagewalt, Millionen Geflüchtete aus Venezuela und der Kollaps der Darién-Route machen das Land zum Brennpunkt der lateinamerikanischen Migrationskrise. Nr. 486 | 23.09.2025
Neue Beiträge von Joëlle Kuntz (La neutralité, le monument aux Suisses jamais morts) und Markus Mugglin (Schweiz – Europäische Union: Eine Chronologie der Verhandlungen) sowie von Martin Dahinden und Peter Hug (Sicherheitspolitik der Schweiz neu denken - aber wie?) Livre (F), Book (E), Buch (D)
Zu den BeiträgenDas Schweizer Mandat im UNO-Sicherheitsrat (2023 und 2024) fiel in turbulente Zeiten, der Rat hatte Schwierigkeiten, in den grossen Fragen Entscheide zu fällen. Jeden Samstag haben wir das Ratsgeschehen und die Haltung der Schweiz zusammengefasst.
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