Schweiz im Sicherheitsrat

Schweiz im Sicherheitsrat 39/2024

Themen der Woche: Frieden, Ukraine, Libanon, Gaza

 

Frieden: Krieg wird zur Leitwährung der internationalen Politik, Frieden schaffen wird zunehmend schwieriger. Wie dies zu ändern wäre, war Thema der high level week an der UNO in New York. Vor Beginn der Generaldebatte verabschiedeten die 193 Mitgliedsstaaten einen «Zukunftspakt», der die Prinzipien der UNO-Charta bekräftigt und die Vorbeugung von Konflikten priorisiert und eine Reihe von entsprechenden Aktionen («Turboantrieb» für die Entwicklungsziele der  Agenda 2030) vereinbart . Der Sicherheitsrat einigte sich auf eine ähnliche Präsidialerklärung, die an leadership for peace – Führungswille zum Frieden – appelliert. Die Debatten waren politische Predigten, geprägt von Klagen über die Missachtung von Kriegs- und Völkerrecht, Anklagen gegen Aggressoren und Aufrufen zur Besserung. Die Schweiz (siehe Abschnitt unten) reihte sich unauffällig ein. Die prägnanteste Erklärung machte die Präsidentin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) im Sicherheitsrat. Sie stellte fest, das humanitäre Völkerrecht werde derzeit verbogen («uminterpretiert»), um «Verletzungen, Zerstörung und Behinderungen der humanitären Aktion zu rechtfertigen. Sie forderte den Rat auf, die Genfer Konventionen zu seiner Priorität zu machen und zeigte auf, was dies bedeutet: «Wenn Euer Verbündeter auf Zivilisten zielt, greift zum Hörer und verlangt, dass sie aufhören.»

Ukraine: Der UNO-Generalsekretär rief dazu auf, die Bemühungen um Frieden in der Ukraine zu «intensivieren». Der ukrainische Präsident erklärte: «Russland muss zum Frieden gezwungen werden». Russland erwiderte, es werde den Krieg fortsetzen, bis «der Krebstumor des Regimes in Kiew» verschwunden sei. Der Vertreter der Europäischen Union erklärte, die jüngste Lieferung iranischer Mittelstreckenraketen an Russland sei eine direkte Bedrohung der europäischen Sicherheit. Eine Reihe europäischer Staaten, auch die Türkei, versicherten der Ukraine ihre weitere Unterstützung. Algerien brachte sich als Vermittler ins Spiel. Die Schweiz erinnerte an die Ukraine-Konferenz auf dem Bürgenstock und erklärte, es sei nun «wesentlich, diesen Dialog auch mit Russland fortzusetzen».

Libanon, Gaza, Palästina: Auf Antrag Frankreichs hat der Rat die Ausweitung des israelisch-arabischen Konflikts in Libanon debattiert. Der UNO-Generalsekretär rief beide Parteien auf, «vom Abgrund zurückzutreten». Im Spiel ist die zahnlose Militärmission UNIFIL, welche seit 1978 die Entmilitarisierung des Südlibanon überwacht und «in engem Kontakt mit den Parteien» steht. Die von Iran unterstützte Hisbullah hat den Norden Israels seit Beginn des Gaza-Kriegs mit 9000 Raketen und Drohnen angegriffen, bei israelischen Vergeltungsschlägen im Libanon sind über 500 Zivilisten umgekommen. Israel rechtfertigt sich, seine Aktionen hätten Hisbullah-Kämpfer und -Anführer zum Ziel. Der libanesische Aussenminister sagte, die Spitäler in seinem Land seien voll von verletzten Zivilisten. Die Schweiz erklärte UNIFIL ihre Anerkennung aus und forderte beide Seiten auf, ihre Feindseligkeiten einzustellen. Zwei Tage nach der Dringlichkeitsdebatte zum anlaufenden Grosskrieg im Libanon befasste der Rat sich mit dem Routinetagesordnungspunkt «die Lage im Mittleren Osten einschliesslich der palästinensischen Frage». Neben dem Dauerelend in Gaza war Libanon auch hier das dominierende Thema. Frankreich und die USA präsentierten ihren gemeinsamen, von mehreren weiteren Staaten unterstützten Vorschlag für eine freiwöchige Waffenruhe im Libanon. Diesen hat der israelische Regierungschef in der UNO-Generalversammlung umgehend abgelehnt: «Wir sind am gewinnen». Norwegen und Saudi-Arabien warben für ihre soeben lancierte «globale Allianz für die Umsetzung der Zweistaatenlösung» (Global Alliance for the Implementation of the Two State Solution.) Die Schweiz kritisierte die Behinderungen des humanitären Personals und forderte die ausnahmslose Einhaltung des humanitären Völkerrechts: “Kriege haben Regeln”. Sie erinnerte an ihren Auftrag der UNO-Generalversammlung, binnen sechs Monaten eine Konferenz über die Einhaltung der Genfer Konventionen einzuberufen, und sie unterstützte die ebenfalls von der Generalversammlung ergangene Aufforderung zu einer – separaten – Nahost-Friedenskonferenz.

Bundesräte in New York: Die Schweiz war in der Berichtswoche mit zwei Mitgliedern des Bundesrats vertreten. Bundespräsidentin Amherd sprach am «Zukunftsgipfel» und in der Generaldebatte der Generalversammlung. EDA-Vorsteher Cassis redete im Sicherheitsrat über «Führungswillen zum Frieden» und zur Ukraine. Beide rückten die Genfer Konventionen und das humanitäre Völkerrecht ins Zentrum. Sie unterstrichen das Bekenntnis der Schweiz zum Multilateralismus und den damit verbundenen Willen zu Kompromiss und gegenseitigem Vertrauen. Darüber hinaus zerrissen die beiden Magistraten keine grossen politischen Stricke. Ihre Erklärungen waren über weite Strecken auf den eigenen Bauchnabel bezogen. Sie hoben schweizerische Leistungen (die Bürgenstockkonferenz, die Gastgeberschaft bei der Sudandiplomatie, die bevorstehende Ukraine-Entminungskonferenz) hervor und wiederholten die Etikettierung der schweizerischen Sicherheitsratsmitgliedschaft (a plus 4 peace). Was den Reden an Substanz abging, versuchten sie mit persönlicher Note zu kompensieren. Frau Amherd beschrieb der Generalversammlung, dass sie am 3. März 2002 – vormittags –  ein Ja zum Schweizer UNO-Beitritt in die Urne gelegt, und dass ihr Kanton Wallis damals mit wenigen hundert Stimmen den Ausschlag gegeben habe. Herr Cassis liess den Sicherheitsrat wissen, er sei ein Aussenminister aus Überzeugung: Si j’occupe ma fonction de ministre, c’est parce que je crois en la force de la politique au service du bien commun. Wie man eine Sicherheitsrede formuliert, die Hand und Fuss hat, zeigte das IKRK in der Debatte über leadership for peace.

 

Schweizer Erklärungen

 

 

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Kurz und kräftig. Die wöchentliche Dosis Aussenpolitik von foraus, der SGA und Caritas. Heute steht Kolumbien im Fokus. Guerillagewalt, Millionen Geflüchtete aus Venezuela und der Kollaps der Darién-Route machen das Land zum Brennpunkt der lateinamerikanischen Migrationskrise. Nr. 486 | 23.09.2025

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Neue Beiträge von Joëlle Kuntz (La neutralité, le monument aux Suisses jamais morts) und Markus Mugglin (Schweiz – Europäische Union: Eine Chronologie der Verhandlungen) sowie von Martin Dahinden und Peter Hug (Sicherheitspolitik der Schweiz neu denken - aber wie?) Livre (F), Book (E), Buch (D)    

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Das Schweizer Mandat im UNO-Sicherheitsrat (2023 und 2024) fiel in turbulente Zeiten, der Rat hatte Schwierigkeiten, in den grossen Fragen Entscheide zu fällen. Jeden Samstag haben wir das Ratsgeschehen und die Haltung der Schweiz zusammengefasst.

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