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Amerika möchte uns Europäern helfen

Die USA haben eine «nationale Sicherheitssstrategie» veröffentlicht, welche das eng gefasste nationale Interesse an erste Stelle setzt, sich vom Verständnis als globale Ordnungsmacht verabschiedet und den multinationalen Institutionen den Kampf ansagt. Europa ist als «vital» wichtiger, aber fehlgeleiteter Kontinent beschrieben. Die Europäische Union wird als Gegner klassifiziert, die Rückkehr zum Nationalismus der «gleichartigen» europäischen Staaten propagiert, vor weiterer Einwanderung gewarnt. Extrem rechts gerichtete Parteien werden als Alliierte bezeichnet. Wir haben den Abschnitt zu Europa integral übersetzt.

 

Was die «nationale Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten von Amerika, November 2025» zu Europa zu sagen hat (Übersetzung: SGA/ASGE):

«Förderung europäischer Grösse

Amerikanische Regierungsbeamte haben sich daran gewöhnt, europäische Probleme in als ungenügende Militärausgaben und wirtschaftliche Stagnation zu verstehen. Das trifft zu, aber Europas wirkliche Probleme sind tiefer.

Zum Teil wegen nationalen und transnationalen Regulierungen, welche Kreativität und Fleiss unterminieren, hat der europäische Kontinent Anteile am globalen BIP verloren – von 25 Prozent 1990 auf heute 14 Prozent.

Doch dieser wirtschaftliche Niedergang wird von der realen und deutlicheren Aussicht der zivilisatorischen Auslöschung noch übertroffen. Die grösseren Schwierigkeiten, vor denen Europa steht, sind Aktivitäten der Europäischen Union und anderer transnationalen Gebilde, welche die politische Freiheit und Souveränität unterminieren, Einwanderungspolitiken, welche den Kontinent verändern und Zwist nach sich ziehen , Zensur der freien Rede und Unterdrückung politischer Opposition, Geburtenrückgänge und Verlust von nationalen Identitäten und Selbstvertrauen.

Falls gegenwärtige Trends anhalten, wird der Kontinent innerhalb von 20 Jahren oder weniger nicht wiedererkennbar sein. So ist es alles andere als offensichtlich, dass gewisse europäische Staaten genügend starke Armeen und Volkswirtschaften haben werden, um verlässliche Verbündete zu bleiben. Viele dieser Nationen verfolgen ihren gegenwärtigen Kurs weiter. Wir wollen, dass Europa europäisch bleibt, dass es zivilisatorisches Selbstvertrauen wiedererlangt, und dass es seinen gescheiterten Fokus auf  regulatorischer Erstickung aufgibt.

Dieser Mangel an Selbstvertrauen ist am deutlichsten in Europas Verhältnis zu Russland sichtbar. Die europäischen Verbündeten haben in Bezug auf harte Macht (hard power) einen bedeutenden Vorsprung gegenüber Russland, mit Ausnahme der nuklearen Bewaffnung. Als Ergebnis von Russlands Krieg in der Ukraine sind Europas Beziehungen zu Russlands nun sehr gespannt, und viele Europäer halten Russland für eine existentielle Bedrohung. Die europäischen Beziehungen zu Russland zu managen wird ein bedeutendes diplomatisches US-Engagement erfordern, sowohl um Bedingungen strategischer Stabilität auf der eurasischen Landmasse wiederherzustellen als auch um das Konfliktrisiko zwischen Russland und europäischen Staaten zu mindern.

Es ist ein Kerninteresse der Vereinigten Staaten, eine rasche Beendigung der Feindseligkeiten in der Ukraine auszuhandeln, um die europäischen Volkswirtschaften zu stabilisieren, unbeabsichtigter Eskalation oder Ausweitung des Krieges zuvorzukommen und strategische Stabilität mit Russland wiederherzustellen, auch um den Nachkriegswiederaufbau der Ukraine zu ermöglichen, um ihr Überleben als lebensfähiger Staat zu ermöglichen.

Der Ukrainekrieg hat den perversen Effekt, die Aussenabhängigkeiten Europas, vor allem Deutschlands, zu erhöhen. Deutsche Chemieunternehmen bauen heute einige der grössten Produktionsanlagen in China, mit russischem Gas, das sie zuhause nicht erhalten können. Die Trump-Administration sieht sich im Widerstreit mit europäischen Beamten mit unrealistischen Erwartungen hinsichtlich des Krieges, manche von ihnen in unstabilen Minderheitsregierungen, von denen viele grundlegende demokratische Prinzipien mit Füssen treten, um Opposition zu unterdrücken. Eine grosse europäische Mehrheit will Frieden, aber dieser Wunsch wird nicht in Politik übersetzt, grösstenteils wegen der Subversion demokratischer Prozesse durch jene Regierungen. Für die Vereinigten Staaten ist das strategisch bedeutsam, weil die europäischen Staaten sich nicht selbst reformieren können, wenn sie in der politischen Krise gefangen sind.

Nichtsdestotrotz bleibt Europa für die Vereinigten Staaten strategisch und kulturell vital. Der transatlantische Handel bleibt einer der Pfeiler der globalen Wirtschaft und des amerikanischen Wohlstands. Europäische Sektoren, von der industriellen Fertigung über die Technologie zur Energie, bleiben unter den robustesten der Welt. Führende wissenschaftliche Forschung und welt-führende kulturelle Institutionen sind in Europa zuhause. Nicht nur können wir es uns nicht leisten, Europa abzuschreiben: Dies zu tun, wäre selbstzerstörerisch in allem, was diese Strategie beabsichtigt.

Die amerikanische Diplomatie muss weiterhin für echte Demokratie, Rede- und Ausdrucksfreiheit und ohne Scheu für die Zelebrierung des individuellen Charakters und der Geschichte der europäischen Nationen eintreten. Amerika ermuntert seine politischen Verbündeten in Europa, dieses geistige Wiederaufleben zu propagieren, und der wachsende Einfluss patriotischer europäischer Parteien ist Grund zu grossem Optimismus.

Unser Ziel soll es sein, Europa bei der Korrektur seines gegenwärtigen Kurses zu helfen. Wir werden ein starkes Europa brauchen, das uns hilft, ein erfolgreicher Wettbewerber zu sein, und das mit uns zusammenarbeitet, um zu verhindern, dass irgendein Gegner Europa dominiert.

Verständlicherweise hängt Amerika sentimental am europäischen Kontinent – und natürlich an Irland und Grossbritannien. Der Charakter dieser Länder ist auch strategisch wichtig, weil wir auf kreative, fähige, selbstbewusste, demokratische Alliierte zählen, um die Bedingungen von Stabilität und Sicherheit herzustellen. Wir wollen mit gleichartigen Ländern zusammenarbeiten, die ihre frühere Grossartigkeit wiederherstellen wollen.

Auf lange Sicht ist es mehr als plausibel, zumindest innert einiger Jahrzehnte, dass gewisse NATO-Mitglieder in ihrer Mehrheit nichteuropäisch sein werden. Es ist damit eine offene Frage, ob sie ihren Platz in der Welt oder ihre Allianz mit den Vereinigten Staaten gleich sehen werden wie diejenigen, welche die NATO-Charta unterzeichnet haben.

In grossen Zügen soll unsere Politik für Europa prioritär:

 

 

 

 

#Europa #Multilateralismus #Souveränität

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