Veranstaltungsberichte

Die Bilateralen III sozialpartnerschaftlich geerdet

Die institutionell ergänzten Abkommen mit der EU und die nationalen Begleitmassnahmen werden von den Dachorganisationen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber weitgehend unterstützt, während der Gewerbeverband noch einen Vorbehalt anbringt. Dies zeigte sich an einer Veranstaltung der SGA in Basel, wo der Chefunterhändler Patric Franzen das Vertragspaket erläuterte.

Wie die Innenpolitik ohne internationalen Horizont zur Nabelschau zu werden droht, so darf die Aussenpolitik ihrerseits die innenpolitische Bodenhaftung nicht verlieren. In diesem Sinn hat die SGA, wie ihr Präsident, Nationalrat Jon Pult, bei der Begrüssung sagte, besonders die Vertreter der Sozialpartner nach Basel zu einer Aussenpolitischen Aula (in nichtuniversitären Räumlichkeiten) eingeladen, über die Bilateralen III zu diskutieren.

Im ersten Teil bot Patric Franzen, Stellvertretender Staatssekretär im EDA und Leiter der Verhandlungen mit der EU, Basisinformationen über die Abkommen, die bis Ende Oktober die Vernehmlassung durchlaufen haben. Er betonte einerseits die historische Kontinuität: Die Schweiz habe immer den Ausgleich von wirtschaftlicher Verflechtung und politischer Abgrenzung gesucht, und dies sei auch die Essenz des bilateralen Wegs. Anderseits machten heutige Entwicklungen wie die von Russlands Angriff ausgelöste Zeitenwende und der Epochenbruch in den USA stabile Beziehungen mit der europäischen Nachbarschaft zur strategischen Notwendigkeit. (siehe dazu die Folien des EDA, Link unten)

Diverse Alternativen und eine Sackgasse

Das Vertragspaket sei nicht alternativlos, sagte Franzen. Doch eine weitergehende Integration in die EU erscheint dem Bundesrat nicht als mehrheitsfähig, und eine blosse Freihandelslösung genügt auch dem aus der Union ausgetretenen Grossbritannien nicht, wie dessen jetzigen Verhandlungen über sektorielle Binnenmarktabkommen zeigen. Dass die Schweiz am Status quo festhalten könnte, sei indessen eine Illusion, sagte der Vertreter des EDA. Die klaren Bedingungen Brüssels für die Fortsetzung des bilateralen Wegs (institutionelle Ergänzungen, Regelung von Subventionen, Verstetigung des Beitrags an schwächere Mitgliedstaaten) hätten das bisherige Vorgehen zur Sackgasse gemacht. Namentlich sei davon auszugehen, dass selbst die geltenden Abkommen nicht mehr aktualisiert würden und somit an Bedeutung verlören.

Die vorgesehene dynamische Übernahme neuen EU-Rechts ist nicht grenzenlos, wie der Referent in Erinnerung rief. Sie beschränkt sich auf den Bereich der Binnenmarktabkommen (der vier bestehenden und der neuen  über den Strommarkt und die Lebensmittelsicherheit). Sie liege grundsätzlich auch im Interesse der Schweiz. Jede Regelung müsse vom zuständigen Bundesorgan (Verwaltung, Bundesrat oder Parlament/Volk) genehmigt werden, bevor sie in Kraft trete. Bezüglich der Mitwirkung der Schweiz bei der Erarbeitung neuer europäischer Rechtsakte ist in der Vernehmlassung der Einbezug von Parlament, Kantonen und weiteren Kräften gefordert worden. Entsprechende Anpassungen würden nun geprüft, versicherte Franzen. Die Verabschiedung der Botschaft an die Räte ist auf Mitte März geplant.

Lob des Lohnschutzes

Nationalrätin Sibel Arslan, Vizepräsidentin der Aussenpolitischen Kommission und Mitglied des SGA-Vorstands, fragte in der Podiumsdiskussion Vertreter von Dachorganisationen der Wirtschaft nach ihren Meinungen zum europapolitischen Paket. Daniel Lampart, Co-Sekretariatsleiter des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, und Adrian Wüthrich, Präsident von Travail Suisse, sagten Ja zu den Verträgen, sofern das Parlament die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit (Lohnschutz) gutheisse. Auf 13 Massnahmen hatten sich die Sozialpartner geeinigt, eine 14. – der für die Gewerkschaften wichtige Kündigungsschutz für Arbeitnehmervertreter in Betrieben – wird vom Schweizerischen Arbeitgeberverband abgelehnt, weil er mit der Personenfreizügigkeit nichts zu tun habe. Wie der Verbandsdirektor, Roland A. Müller,ausführte, wollen die Arbeitgeber nun die Botschaft des Bundesrats abwarten; sie scheinen – dies der Eindruck – aus dem Streitpunkt keine Schicksalsfrage machen zu wollen. Er bezeichnete das Resultat der Verhandlungen mit der EU als guten Kompromiss; die Schweiz habe das Maximum erreicht. Er sprach wie andere Teilnehmer von deutlichen Verbesserungen gegenüber dem vom Bundesrat schliesslich abgelehnten Rahmenabkommen.

Der Schweizerische Gewerbeverband will erst nach der parlamentarischen Beratung Stellung beziehen. Wie dessen Direktor, Urs Furrer, ausführte, sehen exportorientierte KMU vor allem die Vorteile der gegenseitigen Anerkennung von Produktzertifizierungen, während das auf das Inland ausgerichtete Gewerbe das EU-Recht, das es ebenfalls befolgen muss, nur als Belastung spürt. Der Verband fordert daher zur Kompensation ein nationales Regulierungs-Entlastungs-Programm. Ohne die Bilateralen III könnte sich die Schweiz laut Furrer weiterhin auf die bisherigen Verträge stützen, insbesondere auf die wirtschaftlich wichtige Personenfreizügigkeit.

Für den Gewerbevertreter ist im Weiteren klar, dass die wirtschaftspolitische Souveränität der Schweiz eingeschränkt wird. Demgegenüber akzeptiert Wüthrich die dynamische Rechtsübernahme als Konsequenz des Bilateralismus, wobei er den aktuellen Druck der USA als gravierender empfindet. Wir sollten auch lernen, Spielräume im Umgang mit EU-Recht auszunützen. Lampart wies darauf hin, dass Recht und Gerichte, die in den Beziehungen zur EU mehr Gewicht erhalten sollen, auch Sicherheit und indirekt Freiheit bedeuteten. Beim Lohnschutz sind Verschlechterungen durch neue EU-Regelungen ausgeschlossen. Müller beurteilte nicht zuletzt das vorgesehene Schiedsgericht als gute Lösung, auch wenn man im EU-Kontext noch keine Erfahrung damit habe. Franzen machte darauf aufmerksam, dass die Schweiz solche Verfahren aus unzähligen Wirtschaftsabkommen kennt und Ausgleichsmassnahmen bei Vertragsverletzungen in allen ihren Freihandelsabkommen vorgesehen sind.

Das Stromabkommen aufschieben?

Materiell umstritten ist besonders das Stromabkommen, Teil der «Weiterentwicklung» der Beziehungen. Der Gewerkschaftsbund lehnt es wegen der Liberalisierung des Elektrizitätsmarkts bereits heute ab, und Bedenken bestehen auch in anderen Kreisen. Befürworter des Basispakets erwägen daher, dieses separat, vor den neuen Abkommen über Strom, Lebensmittel und Gesundheit zu behandeln, so dass eine Volksabstimmung über die «Stabilisierung» vor den Wahlen 2027 möglich wäre. Würde die EU dies akzeptieren? Zu negativen Signalen aus Brüssel bemerkte Franzen, die drei zusätzlichen Abkommen seien so ausgehandelt worden, dass sie getrennt (später) in Kraft treten könnten. Die EU betrachte das Paket allerdings als Ganzes und werde wohl die Abstimmungen über alle Teile abwarten. Nun solle man sich nicht irritieren lassen, vielmehr die innenpolitische Entwicklung abwarten und danach mit Brüssel reden, sagte Franzen.

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