Martin Pfister, der seit April das Verteidigungsdepartement (VBS) leitet, hat an einer Aussenpolitischen Aula eine breit angelegte Sicherheitspolitik skizziert. Damit soll den rasch angewachsenen, teilweise neuartigen Gefahren entgegengetreten werden. Der Handlungsbedarf zur Erreichung der Verteidigungsfähigkeit erscheint als dringend und ist in der Öffentlichkeit wohl noch nicht genügend anerkannt.

Von links nach rechts: Bundesrat Martin Pfister, Moderatorin Larissa Rhyn, SGA/ASPE;Präsident Jon Pult. (Photo Tim Weber).
Aussenpolitik ist heute wieder zu einem grösseren Teil Sicherheitspolitik, und diese geht ihrerseits deutlicher über das Militärische hinaus. Die SGA hat bereits vor anderthalb Jahren drei Studien publiziert, die auf diese Herausforderungen eingehen. Daran konnte der Präsident, Nationalrat Jon Pult, anknüpfen, als er an der Universität Bern Bundesrat Martin Pfister zu einer Veranstaltung begrüsste. Sicherheitspolitik sei eine gesamtgesellschaftliche und gesamtstaatliche Aufgabe, sagte Pult. Den Kern bilde die Wahrung der demokratischen Widerstandsfähigkeit, und dazu gehörten Dialog und Meinungsstreit, wozu die SGA beitragen wolle. Der «immer noch neue» VBS-Chef stellte sich nach einem einleitenden Vortrag den Fragen von Larissa Rhyn, Leiterin der «Tages-Anzeiger»-Bundeshausredaktion, und des Publikums.
Pfister wollte gleich zu Beginn nicht nach unseren Feinden fragen, sondern nach dem, was wir verteidigen wollten. Es gehe um die demokratische und rechtsstaatliche Verfasstheit, die wirtschaftlichen Lebensgrundlagen und die persönliche Integrität. Gegen diese richteten sich die heutigen Bedrohungen. Die radikal beschleunigte Veränderung der Lage werde noch nicht genügend ernst genommen. Die demokratische Welt, die auf die Selbstverbreitung ihres Modells vertraut hatte, gerate durch autoritäre und autokratische Regime, aber auch durch innere Polarisierung unter Druck. Die Gegner könnten ihre Ziele auch mit Desinformation, Sabotage oder Erpressung erreichen. «Dieser Krieg findet schon statt», sagte Pfister und nannte als wichtigste Akteure Russland und China. Besondere Sorgen bereitet zum Beispiel, dass staatliche Stellen für gefährliche Aktionen Kriminelle engagieren. Weitere Kennzeichen der neuen Situation sind die Missachtung internationaler Regeln, die allseitige Aufrüstung und die technologische Entwicklung, namentlich etwa bei Drohnen, sowie die Infragestellung des engen Verhältnisses zwischen den USA und Europa gerade während Russlands Krieg gegen die Ukraine, auf den Europa ungenügend vorbereitet war.
Das «enorme Kriegspotenzial» betrifft auch die Schweiz. Die Absichten Russlands kenne man nicht, konstatierte Pfister, zitierte aber Fachleute, die die Jahre 2028 bis 2030 als die gefährlichsten einschätzen. Besser bereite man sich auf alle Eventualitäten vor. Anders als jene, die von einer kaputtgesparten Armee reden, wies der VBS-Chef auf den «hervorragenden Einsatz» der Beteiligten hin. So hätten bei einer gemeinsamen Übung im Ausland die Schweizer mit den Profis aus Österreich und Deutschland mithalten können. Durch den Wandel von der eigentlichen Volksarmee zur Armee mit vielen Freiwilligen hätten sich Motivation und Leistung eher verbessert. Die neuen Risiken für die Cybersicherheit habe das dafür geschaffene Bundesamt angegangen.
Es fehle aber an vielem, wenn die Armee auch mit Blick auf den worst case verteidigungsfähig werden soll, besonders an Munition, an Ausrüstung und an Mitteln für eine umfassende Luftabwehr. Wie sich in der Ukraine zeige, würden neben neuartigem Gerät weiterhin auch Panzer und Artillerie benötigt. Bei der Beschaffung soll das VBS agiler werden. Die vom Parlament geplante Steigerung der Militäraufwendungen auf ein Prozent des BIP bis 2032 ist für Pfister ein wichtiges Zeichen, aber ungenügend, wie er auf eine Frage unumwunden bestätigte – man müsse die Diskussion weiterführen. In einer sicherheitspolitischen Strategie will der Bundesrat nächstens Grundlagen, keine Details, für das Vorgehen in den verschiedenen Handlungsfeldern zur Diskussion stellen.
Unerlässlich ist für den Verteidigungsminister die internationale Zusammenarbeit, und der Bundesrat sieht Spielraum, diese zu intensivieren. Die Nato-«Partnerschaft für den Frieden», an der sich die Schweiz seit 1996 beteiligt, bietet Möglichkeiten im Bereich der Ausbildung, aber auch etwa der Cybersicherheit. Mit der EU sollen Gespräche über eine Kooperation aufgenommen werden, wie sie Drittstaaten seit letztem Jahr angeboten wird. Als Bereich stehen gemeinsame Beschaffungen im Vordergrund. Hinzu kommen bilaterale Möglichkeiten wie ein Zusammenspannen beim Kauf von Drohnen mit Deutschland oder Ausbildungsprojekte, als deren Durchführungsort die Schweiz geschätzt sei. Er brauche aber, speziell wegen der Information, auch den Austausch auf politischer Ebene: Sein grösster Ehrgeiz sei es, sagte Pfister, bei den regelmässigen Treffen der europäischen Minister dabei sein zu können.
Ausdrücklich dankbar für die selbstlose deutsche Unterstützung der Ukraine sieht der VBS-Chef für die Schweiz komplementäre Aufgaben wie die Wiederaufbauhilfe an das kriegsgeplagte Land oder die Friedensförderung im Westbalkan. Ob die Schweiz als Nato-Mitglied sicherer wäre? Das wisse er nicht, sagte Pfister. Die Neutralität stellte er nicht in Frage, hielt jedoch fest, dass sie nicht per se Schutz biete, sondern mit dem Anspruch auf Selbstverteidigung verbunden sei. Zentral sei dafür auch eine eigene Rüstungsindustrie mit Möglichkeit zum Export, die heute bekanntlich eng begrenzt sind. Die von einer SVP-Initiative geforderte Einschränkung der Teilnahme an Sanktionen wäre laut Pfister «ein verheerendes Zeichen für die Kooperation». Dass Handel mit Russland einen Angriff verhindere, habe sich bekanntlich als Illusion erwiesen.
Es stehe noch ein weiter Weg vor uns, mahnte der Bundesrat, wir brauchten dafür ein gemeinsames Verständnis für das, was es zu verteidigen gelte. Zur demokratischen Resilienz wiederum gehört wohl auch Vertrauen, wie es – dieser Eindruck sei angefügt – Martin Pfister mit seinem ruhigen und redlichen Auftritt aufbauen könnte.
Kurz und kräftig. Die wöchentliche Dosis Aussenpolitik von foraus, der SGA und Caritas. Heute steht Kolumbien im Fokus. Guerillagewalt, Millionen Geflüchtete aus Venezuela und der Kollaps der Darién-Route machen das Land zum Brennpunkt der lateinamerikanischen Migrationskrise. Nr. 486 | 23.09.2025
Neue Beiträge von Joëlle Kuntz (La neutralité, le monument aux Suisses jamais morts) und Markus Mugglin (Schweiz – Europäische Union: Eine Chronologie der Verhandlungen) sowie von Martin Dahinden und Peter Hug (Sicherheitspolitik der Schweiz neu denken - aber wie?) Livre (F), Book (E), Buch (D)
Zu den BeiträgenDas Schweizer Mandat im UNO-Sicherheitsrat (2023 und 2024) fiel in turbulente Zeiten, der Rat hatte Schwierigkeiten, in den grossen Fragen Entscheide zu fällen. Jeden Samstag haben wir das Ratsgeschehen und die Haltung der Schweiz zusammengefasst.
Infoletter abonnieren