Die Generaldebatte der Vereinten Nationen im September in New York ist der Anlass, um der Welt die Welt zu erklären. 193 UNO-Mitgliedsstaaten erläutern ihre Sicht der Dinge, ein jeglicher nach seiner Art, , verteidigen ihr Tun, kündigen Initiativen an, rufen nach Aktionen. Der amerikanische Präsident hat seinen Auftritt genutzt, um Privatangelegenheiten auszubreiten (die Rolltreppe blieb stecken, der Teleprompter funktionierte nicht, bei der Renovation des UNO-Gebäudes wurde die Firma Trump nicht berücksichtigt), mit seinem amerikanischen Leistungsausweis zu prahlen (hottest country anywhere in the world), der UNO – übrigens zu Recht – Unfähigkeit vorzuhalten (not only is the UN not solving the problems it should, too often, it’s actually creating new problems for us to solve) und vor allem Europa frontal anzugreifen: «Sie zerstören Eure Länder», erklärte Trump an die Adresse der Europäer. Schuld seien die Einwanderung und die grüne Wirtschaft: immigration and the high cost of so-called green renewable energy is destroying a large part of the free world and a large part of our planet. Countries that cherish freedom are fading fast because of their policies on these two subjects.
Erinnerung an Hermann Obrecht
Die Welt liess Trump schwatzen, viermal länger als die ausgemachte Redezeit. Die Rolltreppe und die Ausführungen über die Gebäuderenovation können uns egal sein, die Grossmauligkeit ist cum grano salis zu nehmen. Aber der frontalen Attacke auf Europa und alles, was das Nachkriegseuropa ausmacht, könnte – müsste – entgegnet werden. Warum die Weltbühne nicht nutzen, um Gegenrede zu halten? Warum nicht die Schweiz? Wir sind doch stolz darauf, unabhängig zu sein und zu bleiben, unbestechlich, den «Werten» immer ein Spürlein mehr verpflichtet als die anderen, alles gegründet und abgestützt durch die direktdemokratischen Entscheidungen des Schweizervolks, das weise zu entscheiden weiss und immer zu entscheiden wusste. Die Bundespräsidentin hätte beispielsweise sagen können, dass wir – wir in Europa – wohl anerkennen, dass die massenhafte Einwanderung Probleme stellt, die wir indessen nicht lösen wollen, indem wir Recht und Rechtsstaat aussetzen. Dass man unsere Gletscher anschauen möge, um sich von der Realität der Klimaerwärmung zu überzeugen. Dass wir uns an die Ziele der «nachhaltigen Entwicklung» halten wollen, die immerhin global vereinbart sind. Dass wir uns explizit gegen die Verteufelung der grünen Energie – Sonne und Wind – wenden, weil wir daran festhalten, aus der fossilen Energie auszusteigen. Dass solche politischen Entscheidungen nicht von der Willkür eines einzelnen Machthabers und nicht allein von alle vier Jahre stattfindenden Wahlen abhängen, sondern von Entscheidungen des Volks – auch die Entscheidungen über Immigration und grüne Energie. Und vor allem hätte die Bundespräsidentin sagen können, dass wir uns dabei von niemandem dreinreden lassen. Wie der freisinnige Bundesrat Hermann Obrecht anno 1939, der an die Adresse des Reichskanzleramts in Berlin erklärte: «Wir werden nicht ins Ausland wallfahrten gehen».
Für einmal kein «Swiss finish»
Zwischen dem amerikanischen und dem schweizerischen Auftritt lagen 24 Stunden – genug, um ein paar zitierfähige Sätze zu produzieren, wenn man etwas zu sagen hat. Warum nicht etwas «Swiss finish», ein wenig 1. August in den Schweizer Generalversammlungsauftritt mixen ? Warum nicht eine rhetorische Sonderspur einschlagen, anders als die übrigen Europäer, die Trumps Volley begegneten wie die Rehe im Scheinwerferlicht? Warum die UNO-Generalversammlung für einmal nicht als das parliament of nations oder das globale town hall meeting auffassen, wie sie von denjenigen, welche die Weltorganisation einigermassen ernst nehmen, gelegentlich charakterisiert wird?
Die Frage stellen, heisst sie beantworten. Die Bundespräsidentin hat gesprochen, wie wenn Donald Trump nichts gesagt hätte. Sie sprach von Auschwitz, von der Gründung der UNO, vom bedrohten Multilateralismus, von zu viel Krieg und zu wenig Frieden, und auch ein wenig von der Gefährdung des Weltfreihandelssystems (der Pharmazollhammer kam erst kurz nachdem sie am UNO-Rednerpult stand) . Aber kein zum brutalen Angriff auf unseren Kontinent. Sie eben wie eine Schweizer Magistratin redet – umsichtig, vorsichtig, lieber nichts Falsches als das Richtige. Sie redete so, weil ihre Rede Tage zuvor in Stein gemeisselt worden war, im Konsultationsverfahren zwischen den Abteilungen und Departementen sorgfältig austariert, auf dass kein allzu grosser Stein ins Wasser fiele.
Schluss mit Artigkeiten – man spricht Stammtisch
Der UNO-Auftritt des US-Präsidenten weist auf die Zukunft auch im internationalen Umgang. Wie in der US-Innenpolitik ist auch auf dem zwischenstaatlichen und multilateralen Parkett Schluss mit Artigkeiten und wattierter Wortwahl. Man spricht Stammtisch. Irgendeinmal werden die europäischen Machthaber sich auf die neue Tonalität im internationalen Umgang einstellen müssen, wahrscheinlich ohne die Schweiz. Bis dahin haben Trump und der Trumpismus weiterhin leichtes Spiel.