Lesetipp

Die dezentrale UNO – ein komplexes Gebilde an der Arbeit

Ein vom EDA herausgegebenes Handbuch informiert über Strukturen und Arbeitsweisen der UNO in den vielen Ländern, wo sie humanitäre Hilfe leistet und die Entwicklung fördert. Ein zentrales Thema ist die Koordination der diversen Zweige und Ebenen des Systems, dessen Komplexität sich durch dieses Bestreben kaum verringert.

Die Rede von der Krise des Multilateralismus sollte nicht vergessen lassen, dass das UNO-System, das sich keineswegs auf die zentralen politischen Organe beschränkt, vor allem in zahlreichen ärmeren und armen Ländern nach wie vor substanzielle Arbeit leistet, auch wenn diese ihrerseits unter schwerem finanziellem Druck steht. Die Schweiz hat sich in ihrer Entwicklungshilfe stets zu einem erheblichen Teil auf UNO-Programme und -Organisationen gestützt und sich dabei für die Steigerung von deren Effizienz engagiert.

Die nun in einem Online-Handbuch auf Englisch zusammengestellte Grundlageninformation soll letztlich dazu beitragen, dass die Mitgliedstaaten das System gut nutzen, es finanziell am Laufen halten und auch weiter reformieren. Die Autorinnen und Autoren arbeiten teils in der UNO, teils in der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit des EDA oder stehen diesen nahe. Ko-Redaktor war Johann Aeschlimann, Mitglied des SGA-Vorstands.

Knackpunkt Koordination

Zu den «operationellen» Aufgaben der UNO gehören die Friedenssicherung, der Schutz der Menschenrechte, die Nothilfe und die Unterstützung einer nachhaltigen Entwicklung. Der Schwerpunkt der Publikation liegt in den beiden letztgenannten Bereichen, in denen eine Vielzahl von Agenturen (agencies) tätig ist: namentlich Fonds wie Unicef (Kinder), Programme wie das UNDP (Entwicklung) und Sonderorganisationen mit etwas grösserer Eigenständigkeit, zum Beispiel die WHO (Gesundheit) oder die FAO (Ernährung und Landwirtschaft).

In den letzten Jahren wurden besondere Anstrengungen unternommen, in den einzelnen Ländern als One UN aufzutreten, also die verschiedenen spezialisierten Akteure zu koordinieren. Ein Resident Coordinator, allenfalls gleichzeitig Humanitarian Coordinator, leitet, unterstützt von einem Büro, das UN Country Team, d.h. die Vertretungen der in dem Land tätigen Agenturen, und sorgt namentlich für die gemeinsame Ausarbeitung der Mehrjahres-Rahmenprogramme. Die Agenturen kooperieren auch auf konkreter, fachlicher Ebene; gemeinsame Arbeitsprogramme gibt es aber noch nicht in allen Ländern. Wie knifflig das Unterfangen ist, zeigt etwa die Doppelunterstellung der Team-Mitglieder unter den Resident Coordinator einerseits, unter die Zentrale der jeweiligen Agentur anderseits. Zudem ist die Tätigkeit mit der betreffenden Regierung vertraglich zu vereinbaren und mit weiteren Akteuren – bilateralen Gebern, NGO usw. – abzustimmen.

Erschwert wird ein kohärentes Handeln der UNO-Familie durch die Praxis der Finanzierung. Zwar hat sich der Umfang der (freiwilligen) Zahlungen für operationelle Aufgaben vor allem wegen der humanitären Hilfe von 2014 bis 2024 auf 50 Milliarden Dollar verdoppelt; aber der Anteil der «Kernbeiträge», die für ein längerfristiges Wirken einer Organisation notwendig sind, ist unter 15 Prozent der operationellen Mittel gesunken. Die finanzierenden Staaten neigen dazu, Gelder eher für bestimmte Länder oder Projekte zweckgebunden einzusetzen und damit mehr Einfluss auf die UN-Agenturen auszuüben. Diese sehen sich dementsprechend in ihrer Unabhängigkeit eingeschränkt, konkurrieren aber allenfalls sogar mit Dumping-Angeboten untereinander um Geld. In funding compacts haben die Mitgliedstaaten 2019 und 2024 an sich ihre Absicht erklärt, mindestens einen Drittel ihrer finanziellen Leistungen als Kernbeiträge auszurichten und weitere 15 bis 30 Prozent Pools von mehreren Agenturen zukommen zu lassen, was deren Kooperation fördern soll.

Dickicht der Regeln

Weitere Themen des Manuals sind die Zyklen der Länderprogramme, das Projektmanagement einschliesslich der Personalpolitik, die Verantwortlichkeiten, Aufsichts- und Kontrollmechanismen, die Zusammenarbeit mit Partnern ausserhalb des UNO-Systems wie der Weltbank, der Privatwirtschaft oder NGO sowie die Koordination unter den Agenturen auf regionaler und globaler Ebene.

Allfällige Vorurteile, es handle sich um ein Dickicht von Strukturen und Regularien, das für die Wirksamkeit des Ressourceneinsatzes nicht nur hilfreich sei, mögen bei der Lektüre bestätigt werden. Nach Angaben der Autoren sind rund 100’000 UNO-Angestellte an 467 Einsatzorten in schwierigen Kontexten tätig. Ein schlankes Führungssystem ist demnach nicht zu erwarten. Es bestehen «Myriaden von Regeln, Vorschriften und operationellen Richtlinien» für Arbeitsprozesse und Evaluation, Buchhaltung und Menschenrechte, Risikomanagement und Klimasensibilität, wobei viele Agenturen ihre eigenen «Gesetze» und Steuerungsmechanismen entwickelt haben. Es soll verschiedene Bestrebungen geben, diese Normenwerke zu harmonisieren, namentlich durch das höchste Koordinationsorgan und dessen Management-Komitee. Die Frage drängt sich auf, ob dabei der Eigenverantwortung der Leute «im Feld» genügend Raum gelassen wird – immerhin gehören zu den Tugenden, die der Generalsekretär 2024 für die Mitarbeitenden festgehalten hat, auch «Flexibilität, Agilität und die Fähigkeit, auf neuen Wegen zu denken und zu handeln».

Reformen umsetzen

Auch die operationelle UNO bewegt sich in politischen Spannungsfeldern, wie sie am Schluss in Erinnerung gerufen werden: zwischen globalen und nationalen Interessen, zwischen dem Blick auf gut fassbare Resultate und der Ausrichtung auf eine breite Transformation. Die Folgerungen leuchten ein: Beschlossene Reformen sollen weiter umgesetzt werden, Geber- und Empfängerstaaten wie auch die Agenturen sollen von eng zweckgebundenen Finanzierungen abrücken, nicht jede Organisation muss überall tätig sein, und die Stakeholder in den Ländern sind enger einzubeziehen.

Auch wenn es sich um ein Hilfsmittel und nicht um ein Reportagebuch handelt, könnte man sich mehr Konkretisierungen und Beispiele wünschen. Der eher allgemein und sehr sachlich gehaltene Text ist indessen weder der Propaganda noch der Besserwisserei verdächtig. Das sollte einem fairen und kritischen Umgang mit dem UNO-Multilateralismus zugutekommen.

 

#Multilateralismus

The UN at Country Level: A practical guide to the United Nations Operational System. Published by the Federal Department of Foreign Affairs of Switzerland, Bern 2025. 140 S. 

Espresso Diplomatique

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Schweiz im 21. Jahrhundert

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Zu den Beiträgen

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