Vernehmlassung

Bilaterale III als folgerichtige weitere Etappe

Die SGA-ASPE hat am 18. August 2025 ihre Antwort auf die Vernehmlassung des Bundesrates zum neuen Vertragspaket Schweiz-EU eingegeben. Sie begrüsst das Paket als wichtigen Schritt zur Stabilisierung der Beziehungen und wünscht eine speditive innenpolitische Entscheidfindung mit dem Ziel einer raschen Ratifizierung. 

Die Schweizerische Gesellschaft für Aussenpolitik (SGA) begrüsst die Verabschiedung des Vertragspakets Schweiz – EU durch den Bundesrat und die Eröffnung des Vernehmlassungsverfahrens zur Stabilisierung und Weiterentwicklung der Beziehungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union. Die SGA beurteilt das Paket generell positiv und begrüsst es als weitere Etappe in der Beteiligung der Schweiz am Prozess der europäischen Integration.

Das vorliegende Vertragspaket ist das Ergebnis eines anspruchsvollen Verhandlungsprozesses, der sich über mehr als ein Jahrzehnt erstreckt hat und von Rückschlägen nicht verschont geblieben ist. Für die Schweizer Unterhändler lautete die Zielvorgabe, den nach 1992 entwickelten schweizerischen Sonderweg (sog. «Bilateralismus»») fortzuführen und zu stabilisieren. Für die EU-Kommission bildete die Wahrung und Absicherung der Integrität des europäischen Binnenmarkts eine zentrale Zielsetzung. Scheitert die angestrebte Stabilisierung des «bilateralen Weges», sollten sich also Schweizer Sonderweg und Binnenmarkt-Logik als unvereinbar erweisen, steht die Schweiz vor der Wahl, entweder die allmähliche Erosion bestehender Verträge mangels Updates hinzunehmen oder ihre Europapolitik grundlegend neu auszurichten, sei es im Sinne eines Downgrades zum nachrangigen «Drittstaat» oder eines Upgrades zum EWR- oder EU-Vollmitglied. Konstante einer jeden Option bildet das vitale Interesse der inmitten der EU gelegenen Schweiz an einem möglichst barrierefreien Zugang zum zweitgrössten Binnenmarkt der Welt und an möglichst gleichberechtigter Kooperation in einer Vielzahl von Bereichen.

Angesichts der weltwirtschaftlichen Fragmentierung und der tiefgreifenden globalen Umbrüche ist es für die Schweiz von erstrangiger Bedeutung, ihre Beziehungen zur EU als ihrer wichtigsten Wirtschafts- und Kooperationspartnerin mittels der neuen Abkommen zu stabilisieren. Vermehrte Sicherheit ist höchstwillkommen in einer Zeit, die von geopolitisch und geoökonomisch motivierten Verunsicherungen geprägt ist.

Die SGA unterstreicht ebenso die politische als auch die wirtschaftliche Bedeutung des Vertragspakets. Dieses dient Schweizer Unternehmen und sichert einheimische Arbeitsplätze.andelsbeziehungen durch Freihandelsabkommen mit Ländern und Ländergruppen in Übersee diversifiziert, ist richtig; erschwerter Zugang zum europäischen Binnenmarkt und Kooperationshürden in Europa können dadurch jedoch nie wettgemacht werden.

Die SGA tritt dafür ein, dass das erzielte Verhandlungsergebnis und die damit einhergehenden Umsetzungsmassnahmen speditiv weiterbehandelt und verabschiedet werden, und sie wünscht sich im Interesse von Rechtssicherheit und guter Partnerschaft die baldige Ratifizierung der vorliegenden Abkommen Schweiz – EU.

Generelle Würdigung

Die SGA begrüsst das Verhandlungsergebnis als wichtigen Schritt im Bemühen um Stabilisierung und Weiterentwicklung der Beziehungen zur EU. Unter der Prämisse, dass der in den 90er Jahren eingeschlagene sektorielle «bilaterale Weg» weitergeführt werden soll, dürfen die vorliegenden Verhandlungsergebnisse als bemerkenswerter Erfolg der schweizerischen Diplomatie gewertet werden.

Die SGA erachtet die getroffenen Vereinbarungen insgesamt als vorteilhaft, ausgewogen und unter dem Gesichtspunkt der Kontinuität zweckmässig. Eine regelmässige Angleichung an das sich weiterentwickelnde Recht des gemeinsamen europäischen Binnenmarktes ist logisch zwingend. Das Erfordernis ist nicht neu, sondern bestand schon bisher. Neu ist, dass für Rechtsangleichung, Auslegung und Streitbeilegung klare Verfahren definiert werden und dass Leitplanken gesetzt werden, etwa bezüglich Ausgleichsmassnahmen.

Die vereinbarten Verfahren wahren die Souveränität und die verfassungsmässigen Verfahren der semidirekten Demokratie der föderalistisch verfassten Schweiz. Sie stellen eine substanzielle Verbesserung dar gegenüber der bisherigen Situation, in welcher verlässliche institutionelle Regelungen und die erwähnten Leitplanken fehlten.

Als wichtiger Verhandlungserfolg ist zu werten, dass beim politisch sensiblen Lohnschutz eine Nonregressions-Klausel vereinbart wurde. Sie bietet der Schweiz – in begrüssenswerter Analogie zum Opting-out für EU-Mitglieder in vitalen Fragen – einen Sonderschutz gegen allfällige Rückschritte beim Lohnschutz in der EU. Ein gewichtiger innenpolitischer Stolperstein ist damit aus dem Weg geräumt.

Ein geordnetes Verhältnis zur EU ist für die Schweiz unabdingbar. Geregelte Verfahren gewährleisten Rechtssicherheit für alle beteiligten (staatlichen und nichtstaatlichen) Akteure. Diese liegt im beiderseitigen Interesse, dient aber in besonderem Masse dem weniger mächtigen Partner. Rechtsangleichung, einheitliche Anwendung und Streitbeilegung abzulehnen, bedeutet, dem gemeinsamen Binnenmarkt eine Absage zu erteilen. Weitergehende Mitentscheidung zu verlangen, impliziert, für EU-Mitgliedschaft einzutreten.

Teil der getroffenen Vereinbarungen ist die Verstetigung und die Anhebung schweizerischer Kohäsionsbeiträge an einzelne EU-Staaten. Die Erhöhung der Beiträge fällt, verglichen etwa mit anderen EFTA-Ländern, relativ moderat aus. Unter dem Aspekt der europäischen Solidarität und als Beiträge zur Ertüchtigung von Handels- und Kooperationspartnern bilden Kohäsionszahlungen grundsätzlich opportune Leistungen von Partnern, die vom europäischen Binnenmarkt profitieren.

Die paraphierten neuen sektoriellen Vereinbarungen betreffend Strom, Lebensmittelsicherheit und Gesundheit nehmen gezielt spezifische schweizerische Interessen auf und sind in diesem Sinne zu begrüssen.

Institutionelle Regelungen

Verfahren für die Anpassung an bzw. Übernahme von neuen Rechtsakten, einheitliche Auslegung und Streitbeilegung sind unverzichtbar. Dass entsprechende Regelungen generell, d.h. unabhängig von konkreten Streitfällen, vereinbart werden, liegt im Interesse beider Seiten. Die getroffenen Regelungen kommen der Schweiz in mehrfacher Hinsicht weit entgegen: weder greifen die vereinbarten Verfahren in die verfassungsmässige Ordnung der Eidgenossenschaft und in deren direktdemokratische Prozesse ein noch beschneiden sie die schweizerische Souveränität; weder erfolgt eine Rechtsübernahme automatisch und ohne Zustimmung der verfassungsmässigen Organe noch kommen bei der Überwachung oder im Rahmen der Streitbeilegung «fremde Richter» zum Einsatz; weder wird die Treaty making power der Schweiz noch wird deren Neutralität tangiert.

Im Zusammenhang mit der dynamischen Rechtsübernahme verdient Beachtung, dass die Verpflichtung zur Aktualisierung der Abkommen reziprok gilt. So könnte die Schweiz unter künftigem Recht den Streitbeilegungs-Mechanismus aktivieren, wäre die EU beispielsweise (wie geschehen) bei der Aktualisierung des Abkommens über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen (MRA) im Verzug.

Dass im Falle von Divergenzen Ausgleichsmassnahmen getroffen werden können, ist nicht neu. Neu ist, dass der Möglichkeit, Ausgleichsmassnahmen einzuführen, klare Grenzen gesetzt werden (thematische Einschränkungen auf Binnenmarktabkommen, Ausnahmen z.B. im Bereich Landwirtschaft, Verhältnismässigkeitsgebot), dass mit Blick auf unsere innerstaatlichen Genehmigungsverfahren Karenzfristen für das Inkrafttreten definiert werden und dass die Angemessenheit von Ausgleichsmassnahmen einem Schiedsgericht zur Überprüfung unterbreitet werden kann. Wenig beachtet wurde bisher in der öffentlichen Debatte, dass das Recht, Ausgleichsmassnahmen zu ergreifen, beiden Parteien zusteht. Auch wenn es der Schweiz als kleinerem Partner schwerfallen kann, im Falle einer Divergenz zu Ausgleichsmassnahmen zu greifen, ist es für sie nicht unerheblich, über dieses rechtlich abgesicherte Instrument zu verfügen.

Die Einführung eines Schiedsgerichts im Rahmen der Streitschlichtung darf als substanzielles Entgegenkommen der EU gewertet werden. Für die Schweiz stellt das Schiedsgericht kein Novum dar, sondern ist in Handelsverträgen üblich und hat sich bewährt. Die Rolle des EuGH bei der Streitschlichtung ist klar definiert. Sie ist begrenzt auf die Interpretation des Binnenmarktrechts. Der EuGH agiert nicht als Gericht der Gegenpartei, sondern als Gericht des Binnenmarkts, an dem die Schweiz in ausgewählten Bereichen teilnimmt. Die Beurteilung der bilateralen Divergenz liegt allein beim Schiedsgericht.

In der öffentlichen Debatte wird gebührend hervorzuheben sein, dass das Recht, den Schiedsmechanismus in Gang zu setzen, beiden Vertragsparteien zusteht. Es besteht keinerlei Grund zur Annahme, dass ein paritätisch abgestütztes Schiedsgericht eher der einen oder der anderen Seite zuneigen würde. Die Chancen der Schweiz, ihren Standpunkt in einem Streitfall durchsetzen oder Ausgleichsmassnahmen abwehren zu können, erhöhen sich durch die Einsetzung eines Schiedsgerichts erheblich.

Die SGA begrüsst den Ausbau der Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Erarbeitung von EU-Rechtsakten (Decision Shaping), welche den Status der Schweiz jenem eines EWR-Mitglieds annähern. Einschlägige Erfahrungen bestehen bereits im Bereich Schengen/Dublin und sind global positiv. Vom Ausbau strukturierter Kommunikation zwischen Organen der EU und der Schweiz darf vermehrtes Verständnis für Interessen und Spezifika des jeweiligen Partners und verbesserte Vorausschau und Planung erwartet werden. Für die Schweiz ist dies deshalb von besonderer Bedeutung, weil sie an der institutionalisierten Kommunikation unter EU-Mitgliedern in den Organen der Union nicht beteiligt ist. Die Etablierung eines regelmässigen «Hochrangigen Dialogs» auf der Ebene Bundesrat – EU-Kommission ist daher ebenso zu begrüssen wie der verstärkte Einbezug der Bundesversammlung sowie der Kantone.

Überzogenen Erwartungen ist jedoch entgegenzuwirken: Die vereinbarte Mitwirkung beim Decision Shaping ist ein wertvolles Instrument, bleibt im Effekt jedoch prinzipiell hinter der Beteiligung am Decision Making zurück. Mitentscheidung steht ausschliesslich Mitgliedern zu. Nichtmitgliedern, selbst wenn sie ihre Argumente bei der Erarbeitung von EU-Normen zu Gehör bringen können, bleibt am Ende nur der Nachvollzug.

Europapolitischer Kontext

Die europäische Integration im Allgemeinen und die Entwicklung der Europäischen Union im Besonderen stellen sich als säkularer dynamischer Prozess dar. Eingeleitet wurde dieser vor einem Dreivierteljahrhundert als Projekt zur Gewährleistung von Frieden und Prosperität in Europa nach den Katastrophen der beiden wesentlich von diesem Kontinent ausgehenden und hier ausgetragenen Weltkriege. Seither hat sich die kontinentale Kooperation und Integration oft stockend und krisenhaft, aber insgesamt kontinuierlich weiterentwickelt, entsprechend politischen, ökonomischen, sozialen und technologischen Herausforderungen und nach Massgabe des souveränen Willens der beteiligten Nationen. Mitwirkung, Mitgestaltung und Mitverantwortung am Prozess der kontinentalen Integration bilden heute den europäischen Normalfall und sind selbstverständlicher Bestandteil des politischen Alltags der beteiligten Nationen. EU und EWR sind weit mehr als ein gemeinsamer Markt; sie bilden einen Raum pragmatisch ausgebauter Kooperation und Integration als Antwort auf innere und äussere Herausforderungen.

Auch ohne Mitglied der EU oder des EWR zu sein, ist die Schweiz von diesem Prozess mitbetroffen und an ihm vielfältig und privilegiert beteiligt. Sie hat ein eminentes Interesse am möglichst hürdenfreien Zugang zum Binnenmarkt, einschliesslich freiem Personenverkehr, und an möglichst gleichberechtigter Beteiligung an der Kooperation in einer wachsenden Zahl von Bereichen. Geographisch, geschichtlich und kulturell ist die Schweiz Teil der EU/EWR-Zone, unabhängig davon, welche institutionellen Konsequenzen aus dieser Evidenz gezogen werden. Die EU ist der mit Abstand wichtigste Partner der Schweiz. Die üblicherweise zitierten Indikatoren (Handelsaustausch, Kooperationsfelder, Vernetzung in einer Vielzahl von Bereichen, Frequenz von Grenzüberquerungen, Bevölkerungsverflechtung, usf.) illustrieren bloss andeutungsweise die Intensität der Interaktion und gegenseitigen Verflochtenheit. Beziehungen dieser Intensität bedürfen der kontinuierlichen Pflege und Weiterentwicklung.

Besonders ausgeprägt ist das schweizerische Interesse an der Teilnahme und Mitgestaltung in zukunftsorientierten EU-Projekten wie Horizon Europe, Erasmus+, Digital Europe, European Green Deal, Global Gateway, Digital Markets Act, PESCO, gemeinsame Rüstungsbeschaffung, usf. Die Schweiz kann es sich nicht leisten, sich an den kontinentalen Bestrebungen nicht beteiligen zu können oder bei zukunftsträchtigen Projekten abgehängt zu werden. Berücksichtigung ihrer Interessen kann die Schweiz aber nur einfordern, wenn sie mit der EU generell stabile und entwicklungsfähige Beziehungen unterhält. Sie muss sich die Option offenhalten, mit der EU auch in Zukunft bei Bedarf weitere Abkommen auszuhandeln und abzuschliessen.

Bei der Gestaltung seiner Aussenbeziehungen kommt kein Land darum herum, die Interessen und Erwartungen der Partner zu berücksichtigen. Ihre europäischen Partner erwarten von der Schweiz die aktive Beteiligung an der Bewältigung kontinentaler Herausforderungen und die Mitwirkung anhand gemeinsam definierter «Spielregeln», etwa die Respektierung des Level playing field im europäischen Binnenmarkt. Dies impliziert unter anderem die Einsicht, dass der Raum für einzelstaatlichen Protektionismus im gemeinsamen Binnenmarkt und Kooperationsraum begrenzt ist.

Geopolitischer Kontext

Die aktuelle weltpolitische Lage ist gekennzeichnet durch wachsende geopolitische Spannungen, sich zuspitzende Rivalitäten, verdeckte und offene Kriege, eine Krise der Internationalen Zusammenarbeit, weltwirtschaftliche Verwerfungen, eskalierender Zollkrieg, protektionistische Alleingänge und eine teilweise Rückabwicklung des Globalisierungsprozesses, vielerorts zunehmende innerstaatliche Polarisierung, ein Anschwellen nationalistischer und imperialistischer Tendenzen, eine Erosion des Völkerrechts und die Schwächung oder Lähmung globaler und regionaler internationaler Institutionen. Besonders schwer wiegt, dass die Beziehungen zu den USA, nach der EU mit 18,6% das grösste Abnehmerland für Exporte aus der Schweiz, nicht mehr als regelbasiert und verlässlich bezeichnet werden können.

Die Sicherheit des demokratisch-rechtsstaatlichen Europa wird derzeit aus mehreren Richtungen bedroht: von aussen durch russische Machtexpansion (insbes. Angriffskrieg gegen die Ukraine, hybride Kriegführung gegen westliche Staaten), amerikanischen Unilateralismus, Drohgebärden (selbst gegen europäische Alliierte) und Infragestellung der seit dem Zweiten Weltkrieg geltenden Sicherheitsgarantien der USA. Dazu kommen der Aufstieg und das Ausgreifen Chinas und die Bedrohung des liberalen, demokratischen Rechtsstaats von innen durch nationalistische, illiberale und extremistische Tendenzen im Spannungsfeld der sich verschärfenden globalen Konfrontation zwischen demokratischen und autokratischen Regimen.

Europa erlebt aktuell einen geopolitischen Epochenbruch: sicherheitspolitisch ist es akut herausgefordert, gleichzeitig ist es für seine Verteidigung auf sich selber zurückgeworfen, ohne institutionell darauf vorbereitet zu sein. Den Bestrebungen, strategische Handlungsfähigkeit zu entwickeln, wirken starke zentrifugale Kräfte entgegen. Mit seinen Anstrengungen, sich der Aggression von aussen und lähmenden Strömungen im Innern zu erwehren, leistet Europa einen entscheidenden Beitrag zur Unabhängigkeit, Sicherheit und Freiheit der Schweiz.

Die SGA tritt für eine aktive, selbstbewusste Mitwirkung der Schweiz im Kreis jener Länder ein, die ihre Werte teilen. Ihre europäischen Partner dürfen erwarten, dass sich die Schweiz aktiv an der koordinierten Vertretung und Verteidigung der gemeinsamen Werte beteiligt. Der Erläuternde Bericht streicht zu Recht die Unsicherheiten und Herausforderungen des internationalen Umfeldes heraus, betont aber nach Auffassung der SGA allzu einseitig überwiegend defensiv verstandene schweizerische Sonderinteressen unter Vernachlässigung der Notwendigkeit gemeinsamen Handelns zur Bewältigung der namhaft gemachten Herausforderungen (wie Umwelt, Klima, Sicherheit, Demokratie, Menschenrechte, Prosperität, usf.). Der Bedarf nach abgestimmtem und gemeinschaftlichem Vorgehen, insbesondere in den Bereichen Aussen- und Sicherheitspolitik, dürfte angesichts internationaler Entwicklungen in naher Zukunft stark zunehmen.

Generell wünscht sich die SGA, dass in der bundesrätlichen Botschaft – neben den sehr eingehenden technischen Ausführungen – der aussenpolitischen Einordnung und Würdigung der anstehenden Entscheidungen mehr Gewicht eingeräumt wird. Es gilt, die schweizerische Europapolitik in den Kontext der europäischen Politik zu stellen. Die Schweiz ist Teil Europas. Vom Erfolg der Selbstorganisation des Kontinents ist unser Land weit stärker betroffen als dies der Öffentlichkeit bewusst sein dürfte. Es ist angezeigt, dafür vermehrtes Problembewusstsein zu schaffen. Die SGA erwartet vom Bundesrat, dass er diesbezüglich seine Führungsrolle aktiv wahrnimmt.

Fazit

Zur Debatte steht nicht eine Neuausrichtung der schweizerischen Europapolitik, sondern lediglich die Fortschreibung der A-la-carte-Beteiligung der Schweiz am Prozess der europäischen Integration. Das aktuelle Paket Schweiz – EU bedeutet eine folgerichtige, aus systemischer Sicht überfällige weitere Etappe auf dem «bilateralen Weg». Der Schritt ist sinnvoll unter der Prämisse, dass es gilt, den nach der Absage an den EWR eingeschlagenen Sonderweg fortzusetzen. Gemessen an den aktuellen geopolitischen Herausforderungen und dem Handlungsbedarf, vor dem das demokratisch-rechtsstaatliche Europa steht, ist der Schritt, den die Schweiz tut, allerdings sehr bescheiden. Die neuen Verträge bringen vermehrte Rechtssicherheit und Mitwirkungsmöglichkeiten und sie eröffnen gewisse zusätzliche Kommunikationskanäle; in wichtigen Fragen, die sie unmittelbar betreffen, wird die Schweiz aber weiterhin nicht mitentscheiden können.

Die SGA befürwortet die Unterstellung des Genehmigungsbeschlusses für die Stabilisierung der bilateralen Beziehungen unter das fakultative Referendum gemäss Art. 141 BV. Der Anwendungsbereich des Staatsvertragsreferendums ist seit seiner Einführung 1921 mehrfach ausgeweitet worden, letztmals 2003. Über den Wortlaut von Art. 140 Abs. 1 hinausgreifend von Fall zu Fall quasi plebiszitäre obligatorische Referenden anzuordnen, bedarf unter dem Gesichtspunkt der Konsequenzen für den künftigen politischen Handlungsspielraum sorgfältiger Abwägung. Dabei kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass in der Aussenpolitik alternative Lösungen (und damit allfällige «zweite Anläufe») nicht im Alleingang generiert werden können.

Die SGA ruft zu seriöser, umfassender Information und faktenbasierter, verantwortungsbewusst geführter Debatte über das Vertragspaket und dessen innerstaatliche Umsetzung auf. Sie wünscht sich bei dieser Gelegenheit eine zukunftsorientierte Auseinandersetzung mit der Rolle unseres Landes in der Mitte des europäischen Kontinents und angesichts des besonders herausfordernden aktuellen internationalen Kontextes. Aussenpolitik impliziert nach Auffassung der SGA die Pflege einer Gesamtsicht, Verständnis für die Logik und Einbezug der Interessen der jeweiligen Partner, Betonung der Gemeinsamkeiten gegenüber Trennendem.

18.08.2025

#Schweiz-EU

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Kurz und kräftig. Die wöchentliche Dosis Aussenpolitik von foraus, der SGA und Caritas. Heute steht Aserbaidschans Beziehung zu Russland im Fokus. Einst postsowjetische Verbündete, distanziert sich Aserbaidschan seit 2020 zunehmend vom Einfluss des Kremls. Nr. 483 | 12.08.2025

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