Kolumne

Europa-Blinde im Bauernstaat

Bald könnte die Schweizerische Regierung fünf Vertreter mit Landwirtschaftshintergrund , aber offensichtlich nur einen klar sehenden Europäer aufweisen. Bauernstaat Schweiz, frei schwebend als Neutrum im Weltall?Abgesehen von den SVP-Bundesräten Parmelin und Rösti haftet auch die beiden SP-Regierungsmitglieder ein Hauch von Stallgeruch an: Beat Jans in seiner Ausbildung, Elisabeth Baume-Schneider als Halterin von Schwarznasen-Schafen, was ihr, Berichten gemäss, entscheidende bäuerliche Stimmen beim Sieg über Eva Herzog gewonnen habe. Bauernpräsident Ritter befinde sich, so Insider aus dem Bundeshaus, heute auf geradem Weg in die Landesregierung.Einem Interview mit der Bundespräsidentin Keller-Sutter ist zu entnehmen, wie wenig ihr die europäische Verankerung der Schweiz bedeutet. Bislang scheint nur Beat Jans bereit, Herzblut für die letzte Brücke der Schweiz zum EU-Europa, die erfolgreich ausgehandelten Bilateralen III zu vergießen.

Mehr Macht der Bauern – weniger Chancen auf Freihandel mit den USA

Ritter findet, dass Bauern, im Gegensatz zu Juristen, doch den ganzen Tag und jeden Tag aktiv tätig seien. Dies, wie er noch vor kurzem mit Zipfelmütze auf erhobenem Haupt verkündete, zu sehr geringem Lohn. Damit wird klar, dass künftig Agrarsubventionen im Bundesrat von Beginn weg auf drei Stimmen zählen können, Schuldenbremse hin oder her.
Dies in einem Land mit tiefem einstelligen Prozentsatz der Einwohner in der Landwirtschaft, das aber für seinen Wohlstand geradezu verzweifelt auf intakte internationale Kontakte angewiesen ist mit Blick auf Handelsaustausch und qualifizierte Arbeitskräfte, ebenso wie im Tourismus und in Forschung und Ausbildung.
Immerhin dürfte die Wahl von Ritter das von schweizerischen Europagegnern als Alternative zum EU- Binnenmarkt angepriesene bilaterale Freihandelsabkommen mit den USA weiter in die Ferne rücken, ist ein solches, wenn überhaupt, doch nur zum Preis von höheren amerikanischen Lebensmittelimporte erhältlich. Was gerade in einem Bauernstaat Schweiz unmöglich erscheint.

Die SVP trump(ft) auf

Die parlamentarische Hauptvertretung der Bauernschaft, die Schweizerische Volkspartei (SVP) traf sich am 25. Januar in Balsthal. Wie nicht anders zu erwarten, trug dort der Altmeister der Europhobie und EU-Verteufelung, altBR Blocher, einmal mehr die alte Lügen-Leier vom Kolonialvertrag vor. Bekanntlich versuchen nacheifernde Epigonen – wie etwa Vizepräsident Vance in den USA oder auch altPräsident Mewedjew in Russland – jeweils den grossen Führer an Radikalität noch zu übertrumpfen. So in Balsthal NR Dettling, als Präsident der SVP einer der Nachfolger von Blocher, der als Politclown auftrat, ausgerüstet mit Hellebarde, Peitsche und Gesslerhut-Vergleich, um die Emotionen gegen Brüssel im Voulch weiter anzuheizen.

Ausgerechnet Gessler, ein Tribun der Habsburger, welche ursprünglich Schweizer waren, dann Österreicher im Land, wo im Moment ein rechter und rabiater Europagegner die Macht zu übernehmen droht. Allerdings dürfte es sich lediglich um eine Frage der Zeit handeln bis altNR der SVP Köppel, schweizerisches Vorstandsmitglied in der Internationale der Rechten Reaktion, auch der schweizerischen Anti-EU Kampagne mit einem Kick(l) weiter Schwung zu geben versucht.
Das ganze unwürdige Schauspiel in Balsthal – ein direkter Affront gegenüber unseren europäischen Partnerländern, welche alle die angeblich die Peitsche schwingende EU verkörpern – kam von Seiten der wählerstärksten Partei der Schweiz. Die mit zwei Vertretern in der Landesregierung sitzt, welche bislang weder ein abschließendes Urteil über den erfolgreich ausgehandelten Vertrag der Bilateralen III, noch über die Art der Verabschiedung – einfaches Volksmehr oder doppeltes Mehr – gefällt hat.

Lau und lustlos: Die Bundespräsidentin

In einem grossen Interview in allen TA-Medien hat es Bundespräsidentin Keller-Sutter unterlassen, genau hier Klartext zu sprechen. Sie erwähnt lediglich, die letzte Entscheidung über die Bilateralen III habe das Volk, ohne zu präzisieren, dass Gesetz und Praxis klar sind: ein einfaches Mehr genügt.

Die Bilateralen III habe die Schweiz “für die Wirtschaft” ausgehandelt, so Keller-Sutter weiter, dafür “Begeisterung zu zeigen” sei nicht die Aufgabe des Bundesrates. Allenfalls sollten ihr Nachhilfestunden in zeitgenössischer Schweizer Geschichte gegeben werden:Aussenpolitische Vorlagen wie die Bilateralen III müssen von unseren Regierungsmitgliedern mit Herzblut in allen Teilen der Schweiz vertreten werden, so von Keller-Sutter ganz speziell im eher konservativ und bäuerlich geprägten Osten. Wie dies Beat Jans im nördlichen Grenzkanton Basel tun wird.

Und nein, die Bilateralen III will und braucht die Schweiz nicht “nur” wegen der Wirtschaft, sondern ebenso wegen ihrer politischen und emotionalen Brückenfunktion mit unserem Heimatkontinent Europa. Oder wie das Peter von Matt glasklar ausgedrückt hat: “Unsere Heimat ist die Schweiz, die Heimat der Schweiz ist Europa”.

 

 

 

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